Stefan Hartmann, hartmast.wordpress.com, (nicht zu rechtschreibreformen, aber dazu passend; mit 2 ergänzungen unsererseits)
[…] ich wollte ein Grundproblem der Argumentation aufzeigen, die häufig von sprachpflegerischer Seite bemüht wird. […] mein Eindruck ist, dass sich viele dieser einzelnen Fehlschlüsse zurückführen lassen auf ein gemeinsames Problem, nämlich eine Konzeptualisierung von Sprache, die wenig damit zu tun hat, wie Sprache eigentlich funktioniert. Dieses Modell sieht Sprache als relativ statisches, stark normatives System, das unabhängig von den Sprecherinnen und Sprechern existiert. Sprache wird dabei [in Deutschland] auch eng mit kulturellen Aspekten verwoben, was sie für rechte Ideologien anfällig macht […]. Sprache ist kein gottgegebenes, unantastbares Heiligtum, und weder der Duden noch die amtlichen Rechtschreibregeln sind Gesetzbücher. Weder Anglizismen noch Gendersternchen [noch rechtschreibreformen] können die Sprache kaputtmachen, denn Sprache ist ein sich selbst organisierendes System, und weil wir als Sprecherinnen und Sprecher an erfolgreicher Kommunikation interessiert sind, werden wir auch immer dafür sorgen, dass die Sprache, die wir sprechen, diese Funktion erfüllt. Um die Zerstörung der deutschen Sprache oder irgendeine Art des Sprachverfalls müssen wir uns also keine Sorgen machen – was uns aber Sorgen bereiten sollte, sind die Ideologien, die der Sprachverfallsdebatte zugrundeliegen, und die Tatsache, dass der Mythos vom Sprachverfall außerhalb der Linguistik immer noch so große Resonanz findet.