Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Gedichte
- autor
- Bürger, Gottfried August
- titel
- Gedichte.
- verlag
- Johann Christian Dieterich
- ort
- Göttingen
- datum
- 1778
- standort
- deutschestextarchiv.de
- auflage
- 1
- schriftart
- fraktur
Auszug aus der vorrede
quelle: deutschestextarchiv.de
seite I
Einige meiner bisher einzeln erſchienenen Gedichte haben, das weis ich gewis, vielen wackern Leuten gefallen, und von andern, wofern eignes Urtheil nicht gaͤnzlich fehlt, darf ich ein gleiches vermuten. Der Entſchlus alſo, ſie in einen eignen Band fuͤr meine Freunde zu ſammeln, ſcheint keiner Entſchuldigung weiter zu beduͤrfen. Denn warum ſolte ich nicht in ein Haus gehn, wo ich nicht ungern geſehen zu werden hoffen darf? […]
seite XV
Zum Beſchluſſe mus ich noch etwas von meiner Rechtſchreibung erwaͤnen, wiewol mir die lange Vorrede ſchon ſelbſt fatal zu werden anfaͤngt. Ich neme Klopſtocks Saz, der auch der Saz der geſunden Vernunft iſt, an: Man ſchreibt nicht fuͤr das Auge, ſondern fuͤr das Ohr, und mus daher nicht mehr ſchreiben, als man ausſprechen hoͤrt. Klopſtock fuͤgt hinzu: Auch nicht weniger! wogegen ich aber doch einiges Bedenken zu aͤuſern habe. — Bin ich aber der Hauptregel uͤberal nachgekommen? — Nein! und zwar aus der Vorſicht, die ebenfals Klopſtock aus gutem Grunde empfielt. Man mus nicht alles auf einmal thun wollen, wenn es gluͤklich von Statten gehn ſol. Die Misbraͤuche eines Tyrannen, wie der Sprachgebrauch iſt, laſſen ſich nur nach und nach untergraben und auswurzeln. Sobald aber die geſunde Vernunft ſie wirklich fuͤr Misbraͤuche erkent, ſo mus man es nicht immer gleichguͤltig, oder zaghaft, bei dem alten bewenden laſſen, ſondern anfangen, fortfaren und enden. Klopſtock hat angefangen; manche wackere Leute ſind ſchon fortgefaren; ich habe das naͤmliche gethan; und wuͤnſche gedeihliche Nachfolge. Ich habe noch mehr ungehoͤrte Buchſtaben, als Klopſtock, und das unteutſche y mehrentheils verbant. Das die Dehnung anzeigende h kan uͤberal und mus zunaͤchſt aus ſolchen Sylben wegbleiben, die man ohnehin dehnt, und dehnen mus. Das ß iſt ein hoͤchſt alberner Buchſtab. Ein reines s oder ſſ kan uns die naͤmlichen Dienſte, wie andern Sprachen, thun. Wo ein ſſ gehoͤrt wird, da kan man es ja, ſtat des buklichen ß ſezen, weil es wol urſpruͤnglich und im Grunde nichts anders, als ein durch Schreibverkuͤrzung veraͤndertes ſſ iſt. Die uͤberfluͤſſigen Doppelkonſonanten am Ende habe ich faſt uͤberal weggelaſſen. Die grammatiſche Regel kan ja heiſſen: In der Umendung wird der Konſonans verdoppelt. z. B. das Ros, des Roſſes, der Fus, des Fuſſes, der Schrit, des Schrittes. Freilich wil es das Auge oft uͤbelnemen, und hierin wie ein Kind gehalten ſeyn. Ich leugne nicht: ſelbſt das Meinige macht mir oft Kindereien. Eben darum aber mus man es nur nach und nach dran gewoͤnen, da einen unnoͤtigen Buchſtaben zu miſſen, wo es ſonſt einen zu ſehen gewohnt war. Und die taͤgliche Erfarung lehrt, wie geſchwind es ſich daran gewoͤnen koͤnne, und wie es ihm nachher eben ſo auffallend ſey, den verbanten Buchſtaben wieder da ſtehn, als vorher, ihn mangeln zu ſehen. Auch darf man ſich warhaftig an dasjenige nicht kehren, was die alten Saalbader und Pfalbuͤrger bis zum Ekel dagegen von ſich zu geben pflegen. Die bleiben gemeiniglich unheilbar bei ihren fuͤnf Augen, ob ihre Gruͤnde gleich keinen Pfifferling wehrt ſind. Allein ſie ſind es auch warlich nicht, die zur Bildung der Sprache berufen ſind. Jeglichen ihrer Gruͤnde kan man mit irgend einem Gegenbeiſpiel aus der Sprache, welchem ſie ſelbſt folgen, zu Boden ſtoſſen. Wenn ſie meinen, man muͤſſe einen ungehoͤrten Buchſtaben, wegen unterſchiedlicher Bedeutung einiger Woͤrter, die einerlei Klang haben, ſchreiben; ſo kan man ihnen, ſowol aus unſrer, als allen andern Sprachen, hundert Beiſpiele darlegen, da Woͤrter von ſehr verſchiedener Bedeutung von ihnen ſelbſt mit einerlei Buchſtaben geſchrieben werden. Sie ſchreiben lecken lambere, wie lecken exſultare. Warum koͤnte nun nicht war, erat, und wahr, verum, beides ohne h geſchrieben werden, da die Ausſprache volkommen einerlei iſt? Im Grunde widerſpricht blos das Auge, welches doch allenfals ſchon Warheit, ſtat Wahrheit duldet. Komt mir nicht mit der Undeutlichkeit aufgezogen! Das iſt die albernſte Ziererei, die ich kenne. Ein Teutſcher verſteht ſeine Sprache, oder ſolte ſie doch verſtehen. Alle Sprachen haben das an ſich, daß man oft nicht den Sin aus einzelnen Woͤrtern, ſondern dem ganzen Zuſammenhange aufgreifen mus. Schreibt man ferner einem ſolchen Pfalbuͤrger Rat fuͤr Rath, ſo iſt es luſtig, ſeine Maulgrimaſſen zu ſehen, wenn er behauptet, daß man das Wort, ohne h, nicht anders, als Ratt ausſprechen koͤnne. Dennoch ſchreibt der Gek ſelber, er trat er bat, ohne h, und ſpricht nicht, er tratt, er batt aus. Schreibe ich ihm wiederum fuͤr matt, mat, ſo grimaſſirt er von neuem, und ſpricht maat aus, wiewol er hat habet ganz richtig auszuſprechen weis. — Lieben Bruͤder, wenn ihr eure Sprache lieb habt, ſo tretet dem Schlendrian auf den Kopf und richtet euch nach den Regeln der Vernunft und einfachen Schoͤnheit! Nach welcher ſich ſchon groͤſtentheils die Minneſinger richteten, ehe die nachfolgenden plumpern Jahrhunderte die Sprache mit ſo vielen unnoͤtigen Buchſtaben uͤberluden. Jene ſchrieben faſt gar kein dehnungs h, und das giebt der Sprache ein noch einmal ſo einfaches, reines und ſchoͤnes Anſehn.
Klopſtock ſchlaͤgt, naͤchſt der Verbannung ungehoͤrter Buchſtaben, zum Behuf richtiger Ausſprache in Anſehung der Dehnung und Verkuͤrzung, ein algemeines die Augen am wenigſten beleidigendes Dehnungszeichen vor. Ich kan mir keines denken, das nicht die reine einfache Schoͤnheit im Schreiben und Drucken beſchmizen ſolte. Die Accente und Circumflexe im Griechiſchen, ſo klein ſie auch fuͤr das Auge ſind, ſind mir dennoch ſehr zuwider, weil dadurch der ſchoͤne, weiſſe, helle Raum ohne Symmetrie volgeſchnoͤrkelt wird. Weit beſſer, wir haͤtten, wie die Griechen, unterſchiedene Figuren fuͤr die langen und kurzen Selbſtlaute. Wozu iſt im Grunde ein ſolches Zeichen noͤtig? Es iſt uͤberfluͤſſig. Wir entberen es ſchon in vielen Woͤrtern, ohne den geringſten Nachtheil. Ein Teutſcher weis und mus es ohnehin wiſſen, wie er ſeine Sprache auszuſprechen habe. Die Fremden, denen daran gelegen iſt, ſie zu lernen, moͤgen, wie ſo vieles andre, auch dies mit lernen. Wer malt uns bei dem Lateiniſchen die Quantitaͤt, die Dehnung, oder Verkuͤrzung, wer bei allen andern Sprachen die Ausſprache vor? Lernen muͤſſen wir ſie, und lernen ſie auch. So was dem Auslaͤnder vorzuzeichnen, waͤre eben ſo viel, als jedem teutſchen Buche, fuͤr den Franzoſen oder Britten eine verſionem interlinearem beizufuͤgen. Wil man ja dem Auslaͤnder durch ſolche Zeichen zu Huͤlfe kommen, ſo geſchehe es doch nirgends, als hoͤchſtens in der Grammatik, oder in dem Lexikon.
Hiermit hoffe ich mich einſtweilen hinlaͤnglich erklaͤrt und dem Argwohn vorgebeugt zu haben, als ob ich blos aus Eigenſin, Neuerungs- oder Genieſucht — daß ich mich dieſes von Crethi und Plethi ſo — ſehr ausgemergelten Spotworts bediene — ſo, und nicht anders geſchrieben haͤtte. Ich bin ſonſt keinesweges ein Feind der Mode und des Schlendrians; habe nicht gern ein Abzeichen an mir; ſeze meinen Hut, trage meine Haare und Kleider; kurz von Haupt bis zu Fus trage und gebaͤrde ich mich immer gern, wie die meiſten andern wackern Geſellen von meinem Schlage, und freue mich, wenn ſie mich fuͤr Ihrer Einen halten, ſo lange Mode und Schlendrian nur gut, oder wenigſtens gleichguͤltig ſind. Wo ſie aber demjenigen, was mir beſſer ſcheint, das Widerſpiel halten, da folge ich herzhaft meinem mir angebornen Freiheitsſinne. Geſchrieben im April 1778.
Buͤrger.