Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Die Diskussion um die "ideale" Orthographie
autor |
Strobel-Köhl, Michaela |
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titel |
Die Diskussion um die "ideale" Orthographie. |
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untertitel |
Das Beispiel der "Kreolsprachen" auf französischer Basis in der Karibik und des Französischen im 16. und 20. Jahrhundert. |
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reihe |
ScriptOralia |
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band |
59 |
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verlag |
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ort |
D-72070 Tübingen |
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datum |
1994 |
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isbn |
3-8233-4274-6 |
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umfang, ausstattung |
gebunden, 22,5 × 15 cm, X, 250 s. |
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preis |
54,00 € D, 92,00 chf |
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inhaltsverzeichnis |
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verlagstext |
Die Frage nach der "idealen" Schreibung wird immer wieder diskutiert und erhält besondere Bedeutung, wenn die Reform einer etablierten Orthographie zur Debatte steht oder ein Schreibsystem für eine bislang noch nicht verschriftete Sprache entwickelt wird. Sie bildet dabei nicht ausschließlich den Diskussionsgegenstand verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen, wie vor allem der Linguistik, der kognitiven Psychologie und der Pädagogik, sondern kann sich zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem entwickeln, das nicht selten die Form eines Kulturkampfes annimmt. Die Arbeit widmet sich der Untersuchung verschiedener Orthographie-Diskussionen: der Auseinandersetzung um die Graphie der Kreolsprachen auf französischer Basis in der Karibik und den Debatten um eine Reform der Schreibung des Französischen zur Zeit der Renaissance und im späten 20. Jahrhundert. Einerseits werden die einzelnen Diskussionen kritisch aufgearbeitet; zum anderen werden in einer vergleichenden Betrachtung Argumentationsmuster herausgearbeitet, die in allen Debatten wiederkehren. |
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auszüge |
0. Einleitung Die Frage nach der adäquaten Darstellung von Sprache im visuellen Medium stellt ein immer wieder diskutiertes Thema dar, das ganz verschiedene Ansichten hervorruft. Besondere Virulenz gewinnt diese Frage dann, wenn die Reform einer etablierten Orthographie zur Debatte steht oder ein Schreibsystem für eine bislang noch nicht verschriftete Sprache entwickelt wird. Die Schreibung bildet in solchen Fällen nicht ausschließlich den Diskussionsgegenstand verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen, wie vor allem der Linguistik, der kognitiven Psychologie und der Pädagogik; sie wird vielmehr, da sie jeden ihrer Benutzer tangiert, auf breiter Ebene diskutiert und kann sich zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem entwickeln, das nicht selten die Form eines Kulturkampfes annimmt. Die jüngsten Diskussionen, die zum Beispiel in Frankreich und Deutschland um eine Reform der Orthographie geführt werden, machen dies deutlich. Alphabetschriften lateinischer Ausprägung, die den Gegenstand der vorliegenden Arbeit bilden, können sich bezüglich ihrer Zeicheninventare insofern unterscheiden, als sie bestimmte Zeichen des lateinischen Alphabets nicht verwenden oder neue Schriftzeichen sowie diakritische Zeichen hinzufügen. Sie unterscheiden sich darüber hinaus aber insbesondere durch die Art der Bezüge, die sie zu der betreffenden Sprache herstellen. Alphabetschriften sind in ihrem Ursprung lautabbildend, können sich jedoch — vor allem im Lauf ihrer Entwicklung — ganz beträchtlich von dieser Orientierung entfernen. Die Graphie gibt, wenn keine Anpassung an die Lautentwicklung erfolgt, ältere Sprachzustände wieder; es finden sich Schreibungen, die sich an diejenige des Etymons anlehnen. Das lautabbildende Prinzip kann durchbrochen werden zugunsten der konstanten Schreibung lexikalischer und grammatischer Paradigmen und der Differenzierung von Homonymen. Damit rekurrieren Schriftsysteme auf über die Lautebene hinausgehende sprachliche Ebenen und stellen einen direkten Bezug zur Bedeutung her. Die noch junge linguistische Disziplin der Graphematik hat wesentliche Einsichten in die Struktur und das Funktionieren von Schriftsystemen gewonnen. Die Auffassung, daß die ideale Schreibung dem phonologischen Prinzip folgt, weicht zunehmend der Überzeugung, daß Schriftsysteme Mischsysteme darstellen, Relationen zu verschiedenen sprachlichen Ebenen aufweisen und damit auf verschiedene orthographische Verfahren rekurrieren. Auch im Rahmen von Alphabetschriften lateinischer Ausprägung besteht ein ganz erheblicher Spielraum. Die vorliegende Arbeit widmet sich der Untersuchung verschiedener Orthographie-Diskussionen: der Auseinandersetzung um die Graphie der Kreolsprachen auf französischer Basis in der Karibik und den Debatten um eine Reform der Schreibung des Französischen im 16. Jahrhundert und heute. Die gewählten Diskussionen differieren sowohl bezüglich ihrer soziokulturellen Bedingungen als auch der Art der Schreibung, die den Ausgangspunkt der Debatte bildet. Die Kreolsprachen koexistieren mit einer europäischen Standardsprache in einem Verhältnis, das im allgemeinen als Diglossie bezeichnet wird. Die Geschichte ihrer Schreibung ist noch jung, sieht man von sporadischen Verschriftungsversuchen ab. Schriftsysteme phonologischer Ausrichtung gewinnen gegenüber älteren Schreibungen etymologischer Art zunehmend an Bedeutung; die Frage nach der „richtigen“ Schreibung steht jedoch nach wie vor zur Debatte. Die Untersuchung der Reform-Diskussion in Frankreich greift zwei Epochen heraus: In der Geschichte der Auseinandersetzung um die Schreibung des Französischen kommt dem 16. Jahrhundert eine wichtige Bedeutung zu. Im Zuge der Emanzipation des Französischen vom Lateinischen, der zunehmenden Verbreitung des Buchdrucks und der Bestrebungen zur Normierung der Sprache wird die Frage der Schreibung erstmals allgemein thematisiert, und die Auseinandersetzung erhält ihren ersten Höhepunkt. Die verbreiteten latinisierenden Schreibweisen stoßen dabei auf heftige Kritik von seiten der Reformer. Die zweite für die Untersuchung gewählte Epoche bildet die neuere und aktuelle Debatte seit Mitte der 60er Jahre, die vor allem in jüngster Zeit verstärkt an Aktualität gewinnt. Eine hochliterate Gesellschaft mit allgemeiner Schulpflicht und eine normierte, sehr komplexe Orthographie stellen die Voraussetzungen dieser Diskussion dar. Das Ziel der Arbeit ist ein zweifaches: Es geht zum einen um eine kritische Aufarbeitung der einzelnen Diskussionen. Die verschiedenen Positionen innerhalb der jeweiligen Debatte werden herausgearbeitet, wobei im Zentrum die Frage steht, wie die Befürwortung oder Ablehnung der einen oder anderen Schreibweise oder Ausrichtung der Graphie begründet wird und welche Argumente in die Debatte einfließen. Der Argumentationshaushalt der jeweiligen Debatte soll zusammengestellt und systematisiert werden. Die Betrachtung ganz verschiedener Orthographie-Diskussionen und ihr Vergleich soll zum anderen die Erörterung der folgenden Fragen ermöglichen: Gibt es bestimmte Argumentationsmuster, die immer wiederkehren, und lassen sich Tendenzen in Richtung universaler Merkmale von Orthographie-Diskussionen erkennen? Inwieweit weisen die Debatten Parallelen auf, und inwieweit erfahren sie eine jeweils spezifische Ausprägung? Im folgenden wird zunächst ein Überblick über die zentralen Aspekte der Schreibung gegeben, die für die Analyse der Orthographie-Diskussionen relevant sind. Das zweite Kapitel untersucht die Auseinandersetzung um die Graphie der Kreolsprachen auf französischer Basis in der Karibik. Im dritten Kapitel folgt nach einer kurzen Übersicht über die Entwicklung der französischen Orthographie die Untersuchung der Orthographie-Debatte in Frankreich zur Zeit der Renaissance und im Anschluß daran der neueren und aktuellen Diskussion. Ein abschließendes Kapitel gehört dem Vergleich der behandelten Diskussionen. IV.4. Schlussbemerkungen Alphabetschriften können die lautliche Oberfläche der Sprache abbilden, sie können sich aber auch mehr oder weniger von dieser Orientierung entfernen, historische und etymologische Informationen vermitteln und Bezüge zu über die Lautebene hinausgehenden sprachlichen Ebenen herstellen. Sehr viel mehr als die Wahl einzelner Schriftzeichen stellt die eine oder andere Ausrichtung der Graphie das Thema der untersuchten Orthographie-Diskussionen dar. Dies ist in der Diskussion des französischen 16. Jahrhunderts nicht anders als in der karibischen Debatte und in der aktuellen Auseinandersetzung um die französische Orthographie, wenn auch durch die Weiterentwicklung der Theorie gerade die letztere Debatte eine neue Akzentuierung erhält. Die jeweilige Ausrichtung der Graphie ist mit verschiedenen Vor- und Nachteilen verbunden. Dem Interesse des Schreibers und des Lernenden an einer möglichst eindeutigen Zuordnung zwischen Lauten und Schriftzeichen steht das Interesse des Lesers an einer Graphie gegenüber, die den raschen und sicheren Zugang zur Bedeutung ermöglicht. Die Debatte des 16. Jahrhunderts unterscheidet sich von den neueren Diskussionen insofern, als sie ausschließlich die Leserperspektive betrachtet. In die Auseinandersetzungen um die „ideale“ Schreibung fließen darüberhinaus eine ganze Reihe außersprachlicher Argumente ein. Einige von ihnen finden sich in allen Diskussionen wieder, so das Anliegen, die Herkunft der Sprache in der Graphie zum Ausdruck zu bringen, die soziale Distinktion durch die Schreibung, Akzeptanz-Überlegungen und ästhetische Argumente. In diesem Bereich werden aber auch kultur- und gesellschaftsspezifische Fragen thematisiert, die weit über die Frage der Graphie hinausreichen können und den einzelnen Debatten ihr jeweils eigenes Gepräge verleihen. Auch die außersprachlichen Faktoren müssen ernst genommen werden; sie erhalten in der Auseinandersetzung oft ein überragendes Gewicht und sind nicht selten verantwortlich für das Glücken oder Scheitern von Neuverschriftungen und Eingriffen in etablierte Schriftsysteme. Die „ideale“ Orthographie im absoluten Sinn gibt es sicherlich nicht. Sie hängt einerseits von der Struktur des Sprachsystems ab und kann andererseits nur einen Kompromiß darstellen zwischen den verschiedenen Anforderungen, die eine Sprachgemeinschaft an die Schreibung ihrer Sprache stellt. Patentlösungen lassen sich in diesem Bereich wohl kaum aufzeigen, aber vielleicht kann die Aufdeckung der Argumente und der Blick über eine einzelne Debatte hinaus etwas zur Entschärfung und Rationalisierung von Orthographie-Diskussionen beitragen. |