Zum 1. August 2005 soll die Rechtschreibreform endgültig in Kraft treten. […] Die Frage ist allerdings, ob es den Deutschlehrern gelingt, sich durch das Dickicht des Regelwerks zu kämpfen.
Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Aus presse und internet
2004-12-31
Hinauslaufen wird all dieses Gezerre um eine Reform, die von vornherein überflüssig war, wohl darauf, dass weiterhin dass geschrieben wird, aber ansonsten allmählich die alten Zustände wiederkehren.
Womöglich kann sich Deutschland nur deshalb so unendlich leidtun, weil es das Leid fast nur aus den Fernsehnachrichten und aus sicherer Entfernung kennt. Nur ein Land wie Deutschland konnte Netzadressen wie jammern.de oder deutscherfrust.de hervorbringen. Und nur das deutsche Jammerjahr 2004, der Höhepunkt unserer Krise, vermochte Sätze wie den des Kulturkritikers Marcel Reich-Ranicki zu erzeugen: Rechtschreibreform? Ein großes Unheil. Eine nationale Katastrophe. […] Kommaregeln, Wettkampfzeiten, Klamottenkauf: Wir sorgen uns darum, wir erleben Desaster darin, wir erleiden nationale Katastrophen dadurch.
2004 war das Jahr des Jammers, der Pleiten, des Pechs und der Pannen gewidmet der Depression: Karstadt-Krise, Opel-Katastrophe, Rechtschreibreform-Desaster, Pisa-Schock, EM-Debakel . . . Es ist nun aber so mit der Jammerei, dass einem auch die traurigste Traurigkeit und das vollendetste Versagen irgendwann auf die Nerven gehen. Weshalb man allmählich anfängt, positiv zu denken. […] Die Rechtschreibreform wird sich noch als wahrer Segen und Toll Collect als ewiger Quell der Freude erweisen.
30. 12. 2004
Was zur Zeit in Sachen Türkei-EU-Beitritt abläuft, erinnert mich stark an die Debatte um die Rechtschreibreform. Da bringt die F.A.Z. jede Menge Beiträge, bei deren Lektüre man aus dem Kopfnicken gar nicht mehr herauskommt; die Mehrheit der Bevölkerung ist gegen einen Beitritt; Fachleute warnen eindringlich — nützen wird das alles gar nichts.
Rückname, die (eigtl.: Rücknahme, die). Falsch geschriebenes Wort im Editorial des »Spiegel«-Chefredakteurs Stefan Aust vom 9. August, in dem er ankündigte, gemeinsam mit den Publikationen des Axel-Springer-Verlags zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, und die "R. der bürokratischen Zwangsschreibe" forderte. Dessen ungeachtet beschlossen die deutschen Ministerpräsidenten zwei Monate später, die umstrittene Rechtschreibreform nach Ende der siebenjährigen Übergangszeit zum 1.8.2005 in Kraft treten zu lassen.
29. 12. 2004

Und so schreiben heute die Bild, die Braunschweiger Stadtverwaltung und die CDU-Fraktion im niedersächsischen Landtag wieder wie dunnemals - und keinen kümmert's. Warum? Weil sich niemand von irgendwelchen Politikern oder Boulevardzeitungen vorschreiben lassen will, wie er "Schifffahrt" buchstabiert. […] "Ketschup" oder "Restorant" dürften wieder aus dem Duden gekickt werden […].
«Restorant» müsste man aber erst in den duden hineinkicken.
28. 12. 2004

Rechtschreibreform: wurde insbesondere von der Bild-Zeitung ebenso erbarmungs- wie erfolglos boykottiert.
23. 12. 2004
Aber wie anfällig die KMK ist, hat man letztes Jahr gesehen, als Niedersachsen plötzlich seinen Ausstieg aus dem Gremium ankündigte - ein Profilierungsversuch seines CDU-Ministerpräsidenten. Immer wieder funken Ministerpräsidenten dazwischen, wenn ihre Kultusminister bereits abgestimmt haben - so wie auch im Sommer bei der Rechtschreibreform.
Unsere sog. "Volksvertreter" haben nach sechsjährigem Gezerre um die Föderalismusreform erneut bewiesen (siehe Rechtschreibreform!), dass sie inzwischen völlig unfähig geworden sind, zwischen Länder-Egoismen und nationalen Notwendigkeiten zu unterscheiden.
2004-12-22
Den Kampf Ihrer Zeitung gegen die Rechtschreibreform und die Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung haben wir bewundert und dankbar zur Kenntnis genommen. Eine tägliche Freude waren die Überschriften Ihrer Kommentare in der formschönen Frakturschrift. Bis auf wenige Ausnahmen wurde dabei das Lang-s richtig verwendet. Zu unserem großen Bedauern hat sich die Redaktion jetzt entschlossen, nur noch das Rund-s zu verwenden.
Wer Fraktur richtig schreiben will, muß sich damit Mühe geben, erleichtert aber das Leseverständnis in ähnlicher Weise wie mit der herkömmlichen Rechtschreibung […].
Die klare Haltung, die Ihre Zeitung in der Frage der Rechtschreibung auszeichnet, sollte auch im Schriftsatz gewahrt werden. […] lieber Antiqua richtig als Fraktur falsch.

Seltsam allerdings, dass sich in seinem Denken zuletzt eher wertkonservative Züge zeigt. […] Und ganz und gar nicht elegant waren seine Einlassungen in Sachen Rechtschreibreform; statt mit dem Florett zuzustechen, hat er mit dem Holzhammer zugehackt.
2004-12-20
Das Gezänke darum, wie man richtig schreibt, ist Mitte der 1990er Jahre ohne Not von Bürokraten und Technokraten angezettelt worden. Sie glaubten, dass sie von oben verordnen können, wie ihre Untertanen in der Schule oder im Schriftverkehr mit der Obrigkeit zu schreiben haben. […] Oft ist es besser, der Staat mischt sich nicht in private Angelegenheiten ein, die ihn nichts angehen.
In der tat, das ist «Gezänke». — Es ist sogar immer besser, der staat mischt sich nicht in private angelegenheiten ein, die ihn nichts angehen. Aber wer hat vor 1996 verordnet, wie in der obligatorischen schule geschrieben wird?
«Im Wundergarten der Sprache» heisst die Festschrift für Reiner Kunze, der als Gegner der Rechtschreibreform geehrt wird. Schon im Untertitel «Beiträge gegen die Rechtschreibreform» wird der Paradiesgarten prosaisch, und von der Subtilität eines Reiner Kunze ist im Vorwort nichts mehr zu spüren. Von «Ungeschick und Tölpeltum», von «Missgeburt» spricht Herausgeber Stefan Stirnemann. […] Mit der Bibel als Referenz ist Orthographie zur Frage des Heils geworden. Hoch gegriffen.
Auf deutscher Seite verzichteten stark angefeindete Reformer aus der alten Kommission darauf, sich erneut berufen zu lassen; hingegen sind die vorigen österreichischen und Schweizer Vertreter auch jetzt wieder dabei. Zu den neuen Gesichtern der Schweizer Abordnung gehört der Chefkorrektor der NZZ, Stephan Dové, der vom hiesigen Zeitungs- und Zeitschriftenverlegerverband nominiert worden war. […] Irreführend ist die Aussage der Präsidentin der deutschen Kultusministerkonferenz, die Weiterentwicklung der Schreibregeln geschehe «nunmehr in einem politikfernen Prozess». Wie seine Vorgängerin, die Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung, steht auch der neue Rat in der Pflicht, für Änderungen am Regelwerk den Segen der Politik einzuholen.
Lange war nicht sicher, ob sich Hans Zehetmair doch noch seiner Zusage erinnerte, nach seinem Abschied aus der Politik für den Rechtschreibfrieden tätig zu werden. Nun steht der langjährige bayerische Kultusminister vor der herkuleischen Aufgabe, einen Augiasstall auszumisten. […] Ob Zehetmair den Mut haben wird, die Axt an die Wurzel der Reform zu legen, wird sich erst zeigen.
Hans Zehetmair ist nunmehr das, was er nach eigenem Bekunden gar nicht sein wollte: der Vorsitzende des Rates für deutsche Rechtschreibung […]. Eine Rückkehr zur alten, bewährten Schreibung wird es nicht geben, das stand schon vorher fest. Man will vielmehr "die Gesellschaft mit der Rechtschreibreform versöhnen" […].
Nachdem es nie gelungen ist, die gesellschaft mit der alten rechtschreibung zu versöhnen.
Nach dem Desaster der Rechtschreibreform hat sich die regierende Ahnungslosigkeit in Bund und Ländern wieder einmal von putschistischen selbsternannten Reformern über den Tisch ziehen lassen.
2004-12-18
Es ist zu bezweifeln, dass es tatsächlich bis zum 1. August 2005 - dem Tag des Inkrafttretens - zu einem Konsens zwischen den Reformern und ihren erbitterten Gegnern kommt. Doch Zehetmair scheint es ernst zu sein mit dem Versuch, "die deutschsprachigen Menschen mit der Rechtschreibung zu versöhnen". Was die nötigen Korrekturen betrifft, hat er sofort Vorschläge parat.
Letzteres war zu befürchten. — An der aufgabe, «die deutschsprachigen Menschen mit der Rechtschreibung zu versöhnen», ist schon Konrad Duden gescheitert.
Vor der konstituierenden Sitzung des Rates für deutsche Rechtschreibung in Mannheim hat der Vorsitzende des Rates, der frühere bayerische Kultusminister Hans Zehetmair (CSU), eine völlige Rückkehr zur bisherigen Schreibung abermals ausgeschlossen. Allerdings sei es ebensowenig sinnvoll, „Ungereimtheiten mit Zehen und Klauen verteidigen zu wollen“, sagte er.
Zum komödiantischen Drive trugen […] Jens Kilians Bühnenbilder aus beweglichen Wand-Elementen auf Drehbühnen bei. Blitzschnell mutierte die Schulstube – mit Anspielungen auf die Rechtschreibreform auf der Tafel – zu einer Orgel.
Sie treten die Nachfolge von Martin Lohmann an […]. Man trenne sich in beiderseitigem Einvernehmen, sagte der Verleger und Geschäftsführer der "Rhein-Zeitung", Walterpeter Twer, auf Anfrage. Was im Verhältnis zwischen Twer und Lohmann offenbar den Ausschlag für die Trennung gab, […] war die Haltung des Chefredakteurs in der Debatte um die Rechtschreibreform. Lohmann plädierte – unter anderem in dieser Zeitung – für eine Reform der Reform im Sinne der alten Rechtschreibung. Die "Rhein-Zeitung" erscheint in der neuen Rechtschreibung. Es gebe viele Fragen, sagte dazu Walterpeter Twer etwas verklausuliert,
Auch im Rat für deutsche Rechtschreibung werden Schulbuch- und Wörterbuchverlage eine entscheidende Rolle spielen. Sie widersetzen sich weiteren Änderungen am heftigsten […].
Der designierte Vorsitzende des Rates für deutsche Rechtschreibung glaubt an einen Erfolg des Gremiums. […] Er sei da guter Dinge.
Es muss eine Übereinkunft gefunden werden. Höchste Zeit oder fast schon zu spät. Aus Verwirrung ist nämlich vielfach schon Beliebigkeit geworden. Wenn Lehrer so schreiben und Literaten anders, wenn nicht mal Zeitungen einig sind, fehlt dem einzelnen jede Norm.
Wir erinnern uns: In vielem war die DDR, der die zeitung entstammt, kleinbürgerlich und konservativ.
Der Rat ersetzt die zwischenstaatliche Kommission, welche im Auftrag der KMK die Reform vorangetrieben hatte. Während in der Kommission allerdings vor allem Sprachwissenschaftler saßen, sind im Rat auch Praktiker vertreten, etwa Zeitungsverleger, Lehrergewerkschaften, Elternvertreter und Buchverlage.

Die Rechtschreibreform wollte Wulff zurücknehmen lassen: hat nicht geklappt. […] Nun haben die Ministerpräsidenten beschlossen, die Personalkosten des Sekretariats um "weitere 20 Prozent" zu senken. […] Ein Stellungnahme des betroffenen Sekretariats der Kultusministerkonferenz war bis Redaktionsschluss nicht zu erhalten. […] dort hieß es, dass die zuständigen Herren nicht erreichbar seien. Sie weilten in Mannheim bei der "konstituierenden Sitzung für den Rat der deutschen Rechtschreibung".
17. 12. 2004
Über die deutsche Rechtschreibung wacht seit Freitag eine neue Expertengruppe.
Die Mitglieder von SPD und CDU im Bundestagsausschuß Kultur und Medien haben jetzt eine öffentliche Anhörung des Ausschusses über die Rechtschreibreform abgelehnt.
Was kann der Rat in dieser Lage tun, um seine Aufgabe zu erfüllen? […] Die erste Alternative nenne ich die KMK-Lösung […]: Die Rechtschreibreform ist beschlossene Sache, daran wird grundsätzlich nicht gerüttelt. Es darf nur "Präzisierungen" oder "Anpassungen" geben, allenfalls kleinere Änderungen am Regelwerk. […] Das Schisma der deutschen Rechtschreibung würde damit verfestigt. Die zweite kurzfristige Lösung ist dazu völlig konträr. Ich nenne sie die Akademie-Lösung […]: Beibehaltung der neuen ss-Schreibung als das Erkennungszeichen der Reformwilligkeit, aber Streichung fast aller inkriminierten sogenannten Neuregelungen: in der Getrennt- und Zusammenschreibung, der Groß- und Kleinschreibung, der Zeichensetzung, der Fremdwortschreibung, der Stammschreibung, der Silbentrennung. Das ist gar nicht schwer, da im wesentlichen die seit hundert Jahren gültige Einheitsschreibung wiederhergestellt würde. […] Die dritte Lösung ist nur mit einer Verlängerung der Übergangszeit, einem Moratorium, realisierbar. Ich nenne dies die Reform der Reform. Alles müßte auf den Prüfstand, jede Regelung müßte auf ihre Auswirkungen im Gesamtwortschatz, auf die deutsche Grammatik, die Praxis der Schule, der Buch- und Zeitungsverlage, der elektronischen Medien überprüft werden. Alles, was in der bisherigen Reformgeschichte versäumt oder falsch gemacht wurde, wäre nachzuholen. Eine langwierige Aufgabe.
15. 12. 2004
Acht Experten und eine Expertin sind in der österreichischen Delegation für den Rat vertreten. Das ist mager.

In der vergangenen Woche hatte der auf Kündigungen spezialisierte Ministerpräsident (siehe Kultusministerkonferenz und Rechtschreibreform) mal wieder Schlagzeilen gemacht: Der NDR berichte zu wenig über Niedersachsen.
2004-12-13
Strauss, Strauß, Straus: Die Rechtschreibreform schafft keine Hilfe beim Namenswirrwarr der musikalischen «Sträuße» aus Bayern und Wien.
Österreich wird die Mitglieder aus der früheren Rechtschreibkommission in den Rat für deutsche Rechtschreibung entsenden, die schon zu den Hauptverantwortlichen für die Rechtschreibreform gezählt hatten.
Die entsprechende Regel lautet nämlich nicht, wie man der Sprachgemeinschaft weismachen will: Nach kurzem Vokal schreibt man Doppel-s. Bitte: küsste-Küste, isst-ist, Bus-Kuss, bis-biss, das-dass und so weiter. Verschwiegen wird die notwendige Einschränkung: wenn das Wort früher mit ß geschrieben wurde. Das muß man also lernen und wissen, und wenn man es weiß, kann man auch gleich leserfreundlich ß schreiben.
"Rechtschreibung als Hilfe für den Leser" – wie sie Zehetmair anmahnt – und neue "s"-Schreibung sind zunächst Widersprüche in sich selbst, die doch auch Zehetmair eigentlich beim Lesen sehen müßte.
2004-12-11
Die sieben in einem Dachverband zusammengeschlossenen deutschen Akademien der Wissenschaften wollen sich trotz der Verweigerung anderer wichtiger Institutionen an dem umstrittenen Rat für deutsche Rechtschreibung beteiligen.
8. 12. 2004
Angesichts der enormen Komplexität der Sprache und der großen Variabilität des gesprochenen Wortes mutet es schon fast wie ein Wunder an, wenn der PC ein Diktat unter Berücksichtigung von Syntax, Semantik und Grammatik mehr oder weniger fehlerfrei in geschriebenen Text umsetzt. […] Mit etwas Training erreicht man mit der neuen Dragon-Software schnell eine Erkennungsrate von 95 Prozent, mit viel zusätzlichem Aufwand nähert man sich der 99-Prozent-Marke. […] Die neue Version braucht einen leistungsstarken Rechner: ein Pentium 4 mit mehr als 3 Gigahertz […] sollte es schon sein. Ein weiterer Nachteil von Version 8: Die alte deutsche Rechtschreibung wird nicht mehr unterstützt. Während allein ein halbes Dutzend englischer Dialekte (unter anderem "indisches Englisch") in der Scansoft-Software berücksichtigt werden, stellt man sich bei der deutschen Version gegen die Schreibgewohnheiten der großen Mehrheit der Bevölkerung: eine unverständliche Entscheidung von Scansoft. Schade eigentlich, daß es bei dieser wichtigen Zukunftstechnik keinen Mitbewerber gibt.
Zukunft ist eben zukunft. Die konservativen rentner mit einem 3-GHz-pc werden wohl ein zu kleines marktpotenzial sein.
7. 12. 2004
Unser Universum wäre demnach aus einem schon bestehenden, so genannten bizarren Quanten-Vakuum entstanden. […] Aus dem bizarren Quanten-Vakuum könnten weitere Universen entspringen oder schon entsprungen sein — sie würden damit auch unsere umstrittene Rechtschreibreform mit einem bislang naturwissenschaftlich unnötigem Plural noch weiter belasten.
2004-12-04
Wie würde es der deutschen Rechtschreibreform auf der einhundertfünfundvierzigsten Sitzung des Deutschen Bundestages ergehen? […] Auf der Tagesordnung war die Beratung des Antrags von CDU und CSU zur deutschen Rechtschreibung als Punkt 14 a aufgeführt. […] Gegen sieben Uhr waren die Besucherränge im Plenum leer gefegt. […] Deswegen standen wir im Plenum kurz vor neun Uhr auf einmal vor der deutschen Rechtschreibreform. Keine schlechte Zeit. Da sagte schon der erste Redner aus der Reihe der Opposition, daß die Sprache nicht Sache der Politik sei, doch die Politik, da sie in der Sprache ein Chaos „gestiftet” (besser wäre: angerichtet) habe, nun ihrer Ordnungsfunktion gerecht werden und Ordnung in der Sprache schaffen müsse.
Da haben sich unsere Kultusminister jahrelang geplagt, um es uns leichter zu machen mit Orthographie und Interpunktion. Hätten sie es doch gelassen! Denn abgesehen davon, daß sie, wie man ja weiß, im Volk keinen Dank ernten für ihre Mühen, haben sie offenkundig bis in Amtsstuben hinein nichts denn geistige Verwirrung gestiftet. Sogar die Vermarktung des schönen Wiesbadener Weihnachtsmarkts hat darunter im dritten Jahr seit seiner Wiedergeburt als "Sternschnuppenmarkt" zu leiden. Zwölf gravierende Rechtschreibfehler auf drei Halbseiten finden sich im Werbeprospekt für die vorweihnachtliche Großveranstaltung auf dem Schloßplatz.
Nach Karin Wolff (CDU, Hessen) übernahm im Rotationsverfahren für das Jahr 2004 Doris Ahnen (SPD, Rheinland-Pfalz) die Präsidentschaft der KMK. […] Die KMK jedenfalls kam im Ahnen-Jahr aus den Schlagzeilen nicht heraus — freilich ohne dass sie selbst der Auslöser war. Die Medienkampagne gegen die längst beschlossene Rechtschreibreform, der interne Reformprozess, überlagert durch die Länderinteressen in der Föderalismusdebatte — und jetzt noch die neueste "Pisa"-Studie: Bildungspolitik ist 2004 ungewöhnlich oft auch Machtpolitik gewesen.
Soll ich über das Zitat des "designierten Vorsitzenden" des so genannten "Rates für deutsche Rechtschreibung" einfach nur in Gelächter oder vor Entsetzen in Tränen ausbrechen? "Groß schreibt man Dinge, die man anfassen kann", sagte Zehtmair.
2004-12-03
Es sei ein Unterschied, ob man Schüler "auseinander setze" oder sich mit dem politischen Gegner "auseinandersetze".
Es ist immer noch ein unterschied, wenn man schreibt «Schüler auseinander setzen» oder man schreibt «sich mit dem politischen Gegner auseinander setzen». Schüler und gegner sind nun mal nicht dasselbe.
Sprache und Rechtschreibung haben eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung und kulturelle Leitfunktion. Das in den Schulen vermittelte Wissen muß über die Schule hinaus Bestand haben. Insofern darf es keine getrennte beziehungsweise unterschiedlich verbindliche Schreibweise geben.
Nicht unterschiedlich verbindlich? Die schulrechtschreibung ist nun mal für erwachsene nicht verbindlich. Aber sie hat selbstverständlich über die schule hinaus bestand, weil schüler älter werden und alte leute sterben.
2004-12-02
"Nietzsches Spazierstock" […] bietet ein Sammelsurium an Texten, einen Steinbruch von Stilen, Genres und Textsorten […]. Hochhuth befaßt sich mit Ereignissen aus dem politischen Tagesgeschehen […] oder verfaßt auch eine sprachkritische Abhandlung über Jacob Grimm, die in ihrer stilsicheren Pointierung auch ein Plädoyer gegen die staatlich verordnete Rechtschreibreform enthält.
[…] er war Generalkonsul in Australien und Generalsekretär der Alexander-von-Humboldt-Stiftung in Bonn. Er ist Jurist, Musiker und Schriftsteller. […] "Die angebliche Entlastung des Gedächtnisses durch digitale Systeme", so sagte es Osten, "ist ein grandioses System der Selbsttäuschung." […] Osten plädierte für eine "erinnerungsgestützte Bildung" und erkannte in der Rechtschreibreform "einen Angriff auf die Gedächtniskultur."
Dann kann man wohl auch über die erfindung der buchstabenschrift nichts gutes sagen.
2004-12-01
Jetzt macht der frühere bayerische Wissenschaftsminister Zehetmair seine Ankündigung doch wahr, durch tätige Buße als Vorsitzender des Rates für deutsche Rechtschreibung seine allzu willfährige Unterstützung der Rechtschreibreform zu mildern.
Vor allem bei der Getrennt- und Zusammenschreibung gebe es Handlungsbedarf, sagte Zehetmair. Es sei nicht einleuchtend, dass das räumliche "auseinander setzen" getrennt, aber "sich auseinandersetzen" mit einem Gegner zusammengeschrieben wird.
Sind differenzierungen plötzlich nicht mehr einleuchtend? Wie auch immer: auseinander «in Verbindung mit Verben immer getrennt», steht im duden, 21. auflage.
Abgesehen von diesen Neuerungen mit schätzungsweise zwei- bis dreitausend zusätzlichen Varianten bleibt auch dieser Duden der verordneten Reform treu. Erstmals in seiner Geschichte geriet der Duden damit in einen Konflikt zwischen Tradition und Obrigkeit und hat sich für letztere entschieden. Für alle, die diesen Weg nicht mitgehen möchten, bietet Theodor Ickler einen Ausweg. […] Kaufempfehlung des Rezensenten: Sprachinteressierte brauchen beide Bücher, für die anderen genügt das Rechtschreibprogramm im Computer.
12. 2004

Dieser «Rat für deutsche Rechtschreibung» soll gemäss diesem Vorschlag 36 (!) Mitglieder umfassen […]. Es ist vorauszusehen, wie wenig die Beobachtung der tatsächlichen Veränderungen des Schreibgebrauchs in einem solchen Gremium eine Rolle spielen wird. Der unselige Lobbyismus wird wohl weiterdauern.

Die Neuauflage war auf Grund der jüngsten Veränderungen in der Rechtschreibreform und im Hinblick auf das endgültige Inkrafttreten der reformierten Rechtschreibung im Auugst 2005 fällig geworden. Dass die Reform die Neuauflagen und damit das Geschäft der Wörterbuchverlage im Übermass fördere, ist übrigens weitgehend ein Gerücht. Schon vor der Reform produzierte der Duden rund alle fünf Jahre eine Neuauflage […].

Widerstand gegen die Rechtschreibreform, Widerstand gegen die Vermehrung der Angloamerikanismen in der deutschen Sprache — beides lässt sich vertreten. Geradezu paranoide Blüten treibt jedoch eine Kombination der beiden, die in den «Wiener Sprachblättern» (Heft 4/2004) zu lesen war: «Die Rechtschreibreform führt eine heimliche Amerikanisierung des Deutschen herbei. […]»
30. 11. 2004
Den Schülern Schreib-Regeln vorzusetzen, das ist freilich keine Kunst. Aber wer zwingt Grass?
Niemand. Dagegen dem literaturnobelpreisträger des jahres 2074 schreib-regeln vorzusetzen, das ist keine kunst, wie richtig festgestellt wird.
28. 11. 2004
Inzwischen sind es 85 000 Jugendliche in jedem Jahr, die sie ohne einen Abschluß verlassen: annähernd zehn Prozent. […] Diese "Dropouts", wie die Bildungsforscher des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft sie nennen, können weder ausreichend rechnen noch ordentlich schreiben, beherrschen die deutsche Grammatik nur in gröbsten Zügen und die alte wie die neue Spielart von Rechtschreibung nur rudimentär. Sie kennen da auch keinen Unterschied, und er wäre ihnen vermutlich von Herzen gleichgültig.
2004-11-24
Die CDU/CSU-Fraktion brachte dafür nun einen Antrag ein […]. So wird in dem Antrag die Kultusministerkonferenz aufgefordert, dafür zu sorgen, daß der "unbefriedigende und verunsichernde Zustand durch eine klare Entscheidung über eine verbindliche Rechtschreibung auf allen staatlichen Ebenen beendet wird".
«Eine verbindliche Rechtschreibung auf allen staatlichen Ebenen» kann man fordern, aber nur, wenn man ein übler etatist ist.

Der König rief, das Volk gehorchte. […] mitten im Sommerloch, am 29. Juni 2004, suchte der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) […] um basisdemokratische Unterstützung […]. Im niedersächsischen Elsfleth fällt sein Appell auf fruchtbaren Boden. […] Von hier aus starteten der Oldenburger Baumanagement-Professor Carsten Ahrens und seine Frau Gabriele 1998 das erste (und erfolglose) niedersächsische Bürgerbegehren gegen die Orthografie-Reform. […] Und hier in Elsfleth gründen sie […] keine fünf Wochen nach Wulffs Sommerloch-Vorstoß […] die Initiative "WIR gegen die Rechtschreibreform Niedersachsen". Heute, knapp vier Monate später, ist bei den Organisatoren des Bürgerprotests Katzenjammer angesagt. […] Schuld an dem Debakel, weiß Ahrens, ist in erster Linie einer: Ministerpräsident Christian Wulff. Der nämlich macht, nachdem er den anfänglichen Presserummel weidlich ausgenutzt hat, einen dreifachen Rückzieher.

13. Juni: Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) fordert […] die Rückkehr zur alten Rechtschreibung. […] 22. Juli: Wulff fordert […], in puncto Rechtschreibreform die "Reset-Taste" zu drücken. […] 7. Oktober: Wulff räumt ein: "Es gibt keine Möglichkeit der Rückkehr zur alten Rechtschreibung."
2004-11-22
Der Bundestag muß sich auf Antrag von 45 Abgeordneten aller Fraktionen im kommenden Jahr mit der Rechtschreibreform befassen. In dem von dem kulturpolitischen Sprecher der FDP, Hans-Joachim Otto, initiierten Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, sich bei den Ländern für eine Rücknahme der Reform einzusetzen […].
2004-11-20
Seit rund 150 Jahren stehen sich zwei Varianten der norwegischen Schriftsprache gegenüber […]. Seit 150 Jahren tobt ein Sprachkrieg. Durch permanente Reformen, neben denen die deutsche Rechtschreibereform sich als schierer Theaterdonner ausnimmt, versuchte man, die beiden Idiome einander anzunähern.
Ende August erschien […] ein Taschenbuch mit dem sonderbaren Titel „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“. Sein Autor ist der neununddreißigjährige Bastian Sick, Kolumnist bei „Spiegel Online“, studierter Historiker und Romanist […]. Sick wirke vor allem auch deshalb so positiv auf die Leser, weil er der ideologisch verhärteten Debatte um die Rechtschreibreform ohne Scheuklappen begegne, sich aber andererseits jeden Defätismus verbiete: Es sei eben nicht gleichgültig, wie geschrieben werde. Dabei ist Bastian Sick kein dezidierter Gegner der Reform – das Buch ist den Verlagsusancen gemäß auch nach neuer Schreibweise gesetzt –, aber seine Einwände sind doch erheblich: „Tatsache ist: Das große Reformwerk, das sich als richtungsweisend verstand, erwies sich in der Praxis oft als Irre führend.“
19. 11. 2004
Wer Ablenkung sucht vom Wirrwarr der deutschen Rechtschreibreform, der findet sie im Wirrwarr der tatarischen. In dreißig Schulen Tatarstans ist man vom kyrillischen auf das lateinische Alphabet übergegangen […]. Und das "Gesetz über die Sprachen der Völker der Russischen Föderation" schreibt eindeutig vor, dass alle Nationalsprachen "auf der Basis des kyrillischen Schriftbildes" zu schreiben seien.
2004-11-17
Nach noch lange nicht verkraftetem Pisa-Schock und nach der verkorksten Rechtschreibreform ist das durch das Defizit von 21 Cent monatlich fehlender Gebühr angedrohte Wegkürzen der Rundfunk-Klangkörper der nächste Skandal.
2004-11-16
Mit lauteren Gefühlen der Solidarität und großer Genugtuung liest der seine deutsche Muttersprache in all ihrer geschichtlich bedingten Gewachsenheit in Wort und Schrift liebende Zeitgenosse Heike Schmolls Würdigung Reiner Kunzes […]. Lediglich an einer Stelle zuckt er befremdet zusammen, dort nämlich, wo das Volksbegehren "Wir gegen die Rechtschreibreform" in Schleswig-Holstein anno 1998 als "gescheitert" bezeichnet wird.
Heike Schmoll nennt das schleswig-holsteinische Plebiszit gegen die Rechtschreibreform "gescheitert". Diese Wortwahl verschleiert den Tatbestand, daß die Durchsetzung dieser "Reform" genannten Kulturbarbarei zugleich einen Tiefpunkt der Demokratie in der Bundesrepublik darstellt.

Nachdem Wulff mit seinem Versuch bauchgelandet war, die "klassische" Rechtschreibung wieder einzuführen, dekretierte er, das gleichsam "klassische" weiße Niedersachsenross auf rotem Grund müsse auf sämtliche Briefköpfe, Visitenkarten und Behördenschilder des Landes zurückkehren.
2004-11-15
Orthographisch richtig zu schreiben, haben Deutschdidaktiker als Bildungsziel selbstverständlich nicht aufgegeben. Wie es mit einem vertretbaren Aufwand erreicht werden kann, mag man fragen. Eine Antwort gibt die Rechtschreibreform: Die Mehrheit der Deutschdidaktiker findet eine logische, verständliche und am populären (schreibernahen) Sprachbewußtsein orientierte Lösung sinnvoll, weil sie die Schreibenden orthographisch handlungsfähig macht und damit heutige Lernende eher zum Erfolg führt. Daß damit gleichzeitig eine Fülle von Falschschreibungen auch derer ausgemerzt wird, die meinen, die deutsche Sprache besonders zu lieben, und die daher die alte Rechtschreibung verteidigen wollen, ist eine hübsche Ironie der Argumentation für die alte Schreibung.
2004-11-12
Von der Pleite Berlins […] und der "Eselsbrücke über den Obersalzberg" zur Rechtschreibreform, von den Erfolgen der Bundeswehr in Afghanistan […] bis an die mit der Mauer eingestürzte "tragende Wand" des deutschen Hauses führt sein Parforceritt durch die Niederungen deutscher Befindlichkeiten.
2004-11-11
Bei einer neuerlichen Befassung des Bundestags könne es nicht um die Klärung von Zuständigkeiten gehen, sondern darum, ob überhaupt staatliche Stellen gesetzgeberisch in eine gewachsene und sich selbständig entwickelnde Sprache eingreifen sollten, heißt es in der Begründung. Als Vertreter des Kulturföderalismus bekräftigte Gauweiler gegenüber dieser Zeitung seine Kritik am Anspruch der Länder, die Rechtschreibung selbständig zu regeln.
Auf das Schreiben konzentrierte sich der Sprachvirtuose und Gegner der Rechtschreibreform nie ausschließlich – Schriftstellerei allein führe, wie er einmal feststellte, zu einem "isolierten Dasein" und einer Betriebsblindheit des Autors.
2004-11-10
Unter professionellen Gesichtspunkten (einheitliche Zeichensetzung und Schreibungen, Eindeutigkeit bei Getrennt-/Zusammenschreibung, klare Silbentrennungsregeln und vieles mehr) ist die neue Rechtschreibung nicht brauchbar.
Es dürfte nur sehr wenige Lehrer geben, die das amtliche Regelwerk zur neuen Rechtschreibung in seiner ganzen Kompliziertheit studiert haben was auch kaum zumutbar wäre. […] Es ist bisher kein einziges Schulbuch bekannt geworden, das die Reform korrekt umsetzt. […] Was lernen die Schüler eigentlich von der neuen Rechtschreibung? Im Rechtschreibwortschatz der gesamten Grundschulzeit gibt es nach amtlichen Angaben nur 24 veränderte Wörter, allesamt wegen der s-Schreibung. […] Von der Kommasetzung dürfte hauptsächlich der Eindruck zurückbleiben, dass man Kommas jetzt weitgehend weglassen kann was die Schüler zwar schon immer gern getan haben, aber jetzt ist es richtig. Weder Lehrer noch Schüler wissen, daß die reformierte Kommasetzung ungemein kompliziert ist.
9. 11. 2004
Als Schulischerheilpädagoge, der mit Schülerinnenundschülern arbeitet, die häufig eine Leseundrechtschreibschwäche aufweisen, empfinde ich als eine der besten Erneuerungen der Rechtschreibreform die Getrenntschreibungvonbandwurmwörtern. Auch in Hinsicht auf die zunehmende Zahl von Erwachsenenmitleseproblemen […] erachte ich die Zusammenschreibung des Seebacherplatzes als galoppierendes Amtsschimmelhirndefizitsyndrom.
2004-11-08
In seiner Begrüssung kritisierte Präsident Robert Nef die Rechtschreibreform und bezeichnete die behördlich verordneten Regeln als schwerwiegende, verletzende Eingriffe ins Deutsche. Er wies mit Nachdruck auf die Wichtigkeit einer Verweigerung der Reform hin, um die Eigenart, Vielfalt und Lebendigkeit einer während Jahrhunderten gewachsenen Sprache zu erhalten.
Es war eine kluge Entscheidung der Schweizer "Stiftung für abendländische Gesinnung" […]. Sie nominierte den Altphilologen Klaus Bartels als Vergegenwärtiger der Antike, den Kolumnisten der "Neuen Zürcher Zeitung" und Reiner Kunze als Anwalt einer gewachsenen Schreibkultur und Rufer gegen jene "Barbarei, die im ganzen deutschen Sprachraum unter dem Decknamen Rechtschreibreform im Gange ist", wie der Präsident des Stiftungsrates, Robert Nefin, […] sagte.
7. 11. 2004
"Wenn es um die Sprache geht, kann jeder mitreden". Das steht im Klappentext zu Hans-Martin Gaugers Sachbuch "Was wir sagen, wenn wir reden". "Sprache ist Allgemeingut und nicht die Angelegenheit selbsternannter Aufpasser." geht es weiter. In Zeiten von Rechtschreibreform und endlosen Debatten um Anglizismen leuchten diese Sätze jedem ein. […] Schade, dass der Autor damit weder dem Klappentext, noch dem Untertitel seines Buches folgt.
6. 11. 2004
Liebe ist die Tochter der Freiheit. Darum muß sich die Sprache in Freiheit entwickeln können und vor allen bürokratischen Versuchen der zwangsweisen Veränderung geschützt werden – auch in der Schreibweise. […] wir brauchen uns also nicht zu schämen, wenn wir mit der Liebe zur Sprache und zum Wort den griechischen Fachbegriff Philologie etwas gefühlsbetont ins Deutsche übersetzen und damit einen zutreffenden Oberbegriff für beide Preisträger gefunden haben: für Reiner Kunze, den Dichter und Anwalt einer gewachsenen Schreibtradition[,] und für Klaus Bartels, den Lehrer, Publizisten und Anwalt der Lebendigkeit alter Sprachen.
5. 11. 2004
Also schreibt, wie ihr müßt, geschätzte Exkollegen im PEN oder sonstwo, dichtet und denkt immerzu! Was mir die teure und Gott sei Dank immer noch befreundete Schriftstellerin aber so wenig plausibel machen konnte wie der PEN und die Akademien, ist etwas anderes. Erstens: Immer wieder wurde ich auf Absurditäten der Reform hingewiesen - was aber nur beweist, daß das systemische Denken (Luhmann) noch Zukunft hat. Es gibt doch kein noch so durchdachtes Regelsystem, das irgendwo am Rande keine lächerlichen Beispiele produziert. Zweitens: Viele Gegner der Reform gerieren sich als tapfere Widerständler gegen amtliche Verordnungen von "oben", sorgen sich aber nur um die Bedeutung ihres Vereins, der in der Regel ohne staatliche Subventionen gar nicht existierte.
4. 11. 2004
Das kantonale Amt für Raumordnung und Vermessung hat erfolgreich bei der Dudenredaktion interveniert und in der neusten Auflage der deutschen Rechtschreibung eine schweizerische Sonderlösung erwirkt: Strassennamen mit geografischen Namen mit Endung -er dürfen in einem Wort geschrieben werden.
3. 11. 2004
Entsprechend sagt die Duden-Grammatik von 1966: "Es ist zu beobachten, daß die Verlaufsform heute im Deutschen - im Gegensatz etwa zum Englischen - nicht üblich ist." "Es ist zufrieden stellend" kann demnach schwerlich als Deutsch gelten, ebensowenig wie "es ist Besorgnis erregend" und ähnliches.
Über die Fortentwicklung der Rechtschreibung zu diskutieren, ohne die Kompetenz der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, des PEN-Zentrums und der Akademie der Künste in Berlin zu nutzen, "erscheint mir problematisch", meinte die Staatsministerin.
Kompetenz?
Und wie ihr immer noch redet. Nach hundertvierunddreißig Jahren deutscher Einheit! Ihr seid die Schande jeder Rechtschreibreform!
2004-11-02
Nach der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung hat jetzt auch das deutsche PEN-Zentrum die ihm angebotene Mitgliedschaft im geplanten Rat für deutsche Rechtschreibung ausgeschlagen.
In der Politik gibt es lange verpönte Koalitionen, und auch die Satirezeitschrift "Titanic", die mit ihrer November-Ausgabe 25jähriges Jubiläum feiert, findet sich etwa in der Rechtschreib-Debatte in ungewohnter Partnerschaft wieder. Die Frankfurter Spitzfedern halten sich wie die Zeitungen des Axel-Springer-Verlages an die Orthographie der Vorreformzeit.
Kulturstaatsministerin Christina Weiss (parteilos) hat die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), die rheinland-pfälzische Kultusministerin Ahnen (SPD), dazu aufgefordert, entweder Kritiker für den "Rat für deutsche Rechtschreibung" zu gewinnen oder über eine "neue Konstruktion des Gremiums nachzudenken".
1. 11. 2004
Die mit 35 000 Euro dotierte Auszeichnung wird seit vier Jahren vom Verein Deutsche Sprache (VDS) verliehen - einer 16 000 Mitglieder zählenden Organisation, die sich der Reinhaltung der deutschen Sprache verschrieben hat. […] Loriot bedankte sich artig […]. Dafür äußerte er sich unlängst in der Bild-Zeitung über die Rechtschreibreform - in einer so unkomischen wie populistischen Weise, dass sie beim VDS auf große Begeisterung gestoßen sein dürfte: "Wir sind auf dem Wege, unser wichtigstes Kommunikationsmittel so zu vereinfachen, dass es in einigen Generationen genügen wird, sich grunzend zu verständigen." Achje. Auch große Humoristen werden nicht jünger.
2004-10-30
„Wir ändern früh, wir ändern spät, alles, was zu ändern geht. Für Änderungen stets bereit, bleibt uns zum Denken wenig Zeit.“ Die Rechtschreibreform läßt grüßen.
Die Kritiker würden in den Entscheidungsprozeß nur formell eingebunden, die Resultate der Beratungen stünden bereits fest, begründete die Schriftstellervereinigung ihre Entscheidung, die Mitarbeit […] abzulehnen. […] Ob der bereits gründlich desavouierte Rat überhaupt zustande kommt, erscheint zunehmend fraglich.
Der neue "Rat für deutsche Rechtschreibung", so wirbt die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) Doris Ahnen, "ist ein faires Angebot insbesondere an die Kritikerinnen und Kritiker, sich an der Weiterentwicklung der Rechtschreibung zu beteiligen." Wie stark das "faire" Angebot strategischem Kalkül folgt, zeigt sich exemplarisch an der Rolle, die es dem Deutschen Germanistenverband zubilligt. Der besteht aus zwei Teilen: dem "Fachverband Deutsch" der Lehrer und dem "Hochschulverband" der Universitätsangehörigen. Nur die Deutschlehrer sollen nach dem Willen der KMK in dem Rat vertreten sein - als hätten die Literatur- und Sprachwissenschaftler im Deutschen Germanistenverband zur deutschen Rechtschreibung nichts zu sagen.
2004-10-27
Annette Schavan hat Erziehungswissenschaft, Philosophie und katholische Theologie studiert […]. Eine Zurücknahme der Rechtschreibreform lehnt die Ministerin ab, doch auf die Frage, ob sie sich selbst an die neuen Regeln halte, bekennt sie: "Ich halte mich daran, mit einer Ausnahme, das betrifft das klein- und großgeschriebene du. Wenn ich meinen Nichten und Neffen schreibe, halte ich mich strikt an die Regeln. In privaten Briefen an Erwachsene bleibe ich beim großgeschriebenen Du."
2004-10-26
Der aufgeblähte Staat müßte sich zurücknehmen, dem Individuum mehr Geld in der Tasche lassen und Entscheidungsmöglichkeiten, für sich selbst zu sorgen. Der Trend allerdings läuft in die umgekehrte Richtung, es soll alles immer mehr vom Staat dirigiert werden. Von der Rechtschreibung bis zur Zwangsversicherung, zur Einheitsschule und so weiter.
Wie sollte zum Beispiel ein Sozialrichter über eine Behinderung eines Klägers vor dem Sozialgericht entscheiden, wenn dessen Behinderung in einem orthopädischen Gutachten nicht als weitgehende, sondern als "weit gehende" Gehbehinderung eingestuft wurde?
2004-10-25
Während Akademiepräsident Klaus Reichert wie in den Jahren zuvor die jüngste Entwicklungen im Streit um die Rechtschreibreform zusammenfaßte, unternahm Staatsministerin Christina Weiss den gutgemeinten Versuch, die Wunden der Akademie mit Salz zu heilen. Denn ihr Argument, das mißlungene Regelwerk sei längst nicht so schwerwiegend wie der allgegenwärtige Rückgang des Sprachvermögens, folgt blind der dummdreisten Erklärung der Reformer, Rechtschreibung habe mit Sprache, Spracherwerb und Sprachvermögen nichts zu tun. Die Kluft zwischen Gebildeten wird durch die Reform nicht kleiner, wie ihre Verfechter behaupten, sondern größer.
Reichert bestritt die Kompetenz der Politik in diesen Dingen.
2004-10-23
Zwei Plätze in dem von Reformbefürwortern dominierten Rat waren ihr angeboten worden, jedoch hat die Akademie schon im Vorfeld klargestellt, dass ein solches Gremium klein und möglichst nur mit Wissenschaftern und Schriftstellern, nicht jedoch auch mit Interessenvertretern (Verlegern, Lehrergewerkschaften u. a.) besetzt sein dürfe.
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung will die ihr angebotenen Sitze im geplanten Rat für deutsche Rechtschreibung nicht annehmen. Damit folgt die Akademie, die zur Zeit ihre Herbsttagung in Darmstadt abhält, dem Aufruf der Schriftstellerin Elfriede Jelinek […].
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung – in der bisherigen Rechtschreibdiskussion nicht immer durch enorme Geradlinigkeit aufgefallen […] – hat recht: Echte Reformkritiker haben in diesem Rat für deutsche Rechtschreibung, den die Kultusministerkonferenz als angeblich faires Forum zur Auseinandersetzung mit den Kritikern ersonnen hat, keine Chance.
2004-10-22
wie zu hören und zu lesen ist, wollen die deutschen Unterrichtsminister uns einbinden. Sie wollen die Kritiker der Rechtschreibreform, also uns, oder doch jedenfalls die allermeisten von uns, einwickeln, indem sie uns Sitz und Stimme geben. […] Und wir können, wir dürfen uns an dieser bürokratischen Anmaßung nicht beteiligen, weil die Einladung an uns nur dazu dient, uns und unsere Vereinigungen zu kompromittieren.
Die Beamten in den Ministerien sind offenbar fleißiger, als es der Allgemeinheit lieb ist. Sollen sie etwa noch mehr motiviert werden? Oder denken Sie an das aktuelle Beispiel der "Rechtschreibreform", diesem (Fleiß-)Produkt einer offenbar unausgelasteten Kultusbürokratie. Wären die doch bloß nicht so eifrig gewesen!
Ist es nicht gut, regeln abzuschaffen?
2004-10-21
Gleich, ob Niedersachsens Ministerpräsident Wulff für die Rückkehr zur alten Rechtschreibung plädiert, ob er für Tempo 140 auf der Autobahn zwischen Hannover und Berlin eintritt oder die Mitgliedschaft Niedersachsens in der Kultusministerkonferenz aufkündigt – immer setzt der CDU-Stern des Nordens dabei auch Duftmarken seiner politischen Präsenz.
2004-10-20
Soweit ich dies aus dem Studium historischer Schriften ableite, stammt das ß nicht aus der Frakturschrift, sondern aus einer Ligatur (langes "s", kurzes "s") der Cancelleresca, die in der Renaissance von Humanisten wie Arrighi (Ludovicus Vincentinus) und Bernardino Cantaneo geschrieben und von Kardinal Bembo gefördert wurde. Alle Erklärungen, die eine Herkunft des ß aus dem Fraktur-sz ableiten wollen, sind nicht schlüssig.
Zum Artikel "Lob der Rechtschreibung" von Horst Haider Munske: Wer nach diesem klaren, geduldigen und kenntnisreichen Aufsatz nicht überzeugt ist oder wenigstens aufhorcht und neu nachdenkt, dem ist nicht zu helfen.
2004-10-19
Wulff ist doch auch nur ein Schwätzer. Ein Wendehals, der mir die Verachtung des Politikbetriebes leichtmacht.
2004-10-16
Das Gremium soll vor dem 1. August 2005 gewisse Änderungen bei der neuen Rechtschreibung prüfen. An diesem Tag tritt die Reform in deutschen Schulen und Behörden in Kraft.
Denn die Arbeitsgrundlage des Rates ist die Reform, eine Rücknahme kommt für ihn nicht in Betracht. Wieso unter dieser Bedingung die deutschen Akademien der Wissenschaften und das PEN-Zentrum Deutschland, die sich beide für eine Rücknahme der Reform eingesetzt haben, überhaupt im Rat mitarbeiten, bleibt ihr Geheimnis.
Beschlossen haben die Kultusminister auch den "Rat für deutsche Rechtschreibung", sofern die zuständigen Stellen der Bundesregierung sowie Österreichs und der Schweiz zustimmen. […] Der Rat sei ein faires Angebot an die Kritiker, sich an der Weiterentwicklung der Rechtschreibung zu beteiligen. Die Kritiker verweisen unterdessen darauf, daß etwa die gegnerische "Forschungsgruppe Deutsche Sprache" nicht vorgeschlagen wurde, sondern genau die Institutionen im Rat zu finden sind, die auch schon im Beirat der Zwischenstaatlichen Kommission an der neuen Schreibung beteiligt waren.
Das könnte daran liegen, dass man sich nur an der weiterentwicklung der rechtschreibung beteiligen kann, wenn man eine weiterentwicklung der rechtschreibung für möglich hält.
Seit Monaten steht die Kultusministerkonferenz in der Kritik. Mehrere Ministerpräsidenten, darunter Christian Wulff und Edmund Stoiber, haben die mißglückte Rechtschreibreform aufgegriffen, die KMK für ihr Versagen in diesem Punkt scharf kritisiert und zugleich die seit langem überfällige Frage aufgeworfen, ob die KMK ihrerseits nicht höchst reformbedürftig sei.
15. 10. 2004
Jetzt schließen sich SPIEGEL und BILD zusammen und kämpfen gemeinsam gegen einen höchst nebulösen Popanz, der da heißt »Neue Rechtschreibung«. Oberstes Ziel ist es, das Deutsche Volk vor Vergewaltigung zu schützen: Sprache »ist Kern der Demokratie.« oberlehrert Stefan Aust, »Sie lässt sich nicht auf dem Verordnungswege vergewaltigen.« (Spiegel 33, vom 09.08.2004, Seite 5) Konsequenz? Man fordert die Rückkehr zur 1901 auf dem Verordnungswege vergewaltigten deutschen Sprache. Alte Vergewaltigungen sind nicht mehr schlimm, da weiß man doch, was man gehabt hat!
2004-10-14
Unter welchem Stern auch immer eine Reform, beispielsweise eine Rechtschreibreform, stehen mag, wir sind im Deutschen noch nicht soweit, mit dem Wort automatisch schon eine Katastrophe meinen zu können.
Günter Grass will auch nach einer verbindlichen Einführung der Rechtschreibreform im August 2005 seine Werke weiter in der alten Schreibweise herausgeben. […] Zugleich bekräftigte er seine Ansicht, dass eine Rücknahme der "so genannten Reform" richtig gewesen wäre. Er befürchte, dass nun über viele Jahre verschiedene Schreibweisen in Schulen, Literatur und Medien nebeneinander bestehen. Das werde sich mit der Zeit zwar wieder regulieren, aber man wisse nicht, in welche Richtung.
Angst davor, dass verschiedenes nebeneinander besteht, dass man nicht weiss, in welche richtung es geht? Das muss ein kleingeistiger beamter geschrieben haben, ganz unmöglich ein schriftsteller. Abgesehen davon: Man weiss durchaus, in welche richtung es geht. Im jahr 2074 schreiben die schriftsteller so, wie sie es 2004 gelernt haben. Dafür liefert Grass den beweis.
2004-10-12
Genau wie Kinder führen Erwachsene Wörter im Mund, von deren Bedeutung sie bei Lichte betrachtet keinen blassen Schimmer haben. Zur Vermeidung von Blössen legen sie sich Inhalte zurecht, um Smalltalk über Themen vom Existenzialismus bis zur Rechtschreibereform führen zu können.
Das Tagungsthema hieß kurz und bündig "Deutschunterricht empirisch" mit dem Zusatz "Fortschritte im Lehren und Lernen?". […] Angesichts der Tatsache, daß die Deutschdidaktik gerade mit sich selber genug zu tun hat, war es verständlich, daß noch nicht einmal die Sektion "Rechtschreibung/Schrifterwerb" sich mit den Auswirkungen der Rechtschreibreform auf die Didaktik der Orthographie befaßte. Solches empfindet der Sektionsleiter Günther Thomé (Oldenburg) wohl auch gar nicht als nötig. Im Gespräch mit dieser Zeitung gibt er sich völlig losgelöst und ganz entspannt: Er stehe einfach über dem Streit um die Rechtschreibreform. Eine Sprachgemeinschaft von einhundert Millionen Menschen werde auch das überstehen.
2004-10-11
Wer je als Korrektor tätig war, weiß, welch widersinnige Regeln auch die bisherige Orthographie bietet oder geboten hat. […] Im Vergleich zu den Rechtschreibreformen in China, Korea und Japan ist die Reform in Deutschland eine "quantité négligeable".
Die in dem ansonsten so lehrreichen "Lob der Rechtschreibung" enthaltene Behauptung, die Übersetzung des ß aus der Frakturschrift in die Antiqua sei schwierig gewesen, da es in der Antiquaschrift nur ein einziges s-Zeichen gegeben habe, bedarf einer Korrektur. Ein Blick in mehr als 200 Jahre alte Bücher […] genügt, um zu sehen, daß es seit den ältesten Antiqua-Drucken im 15. Jahrhundert ein hohes s (wie f ohne Querstrich) und ein Schluß-s gegeben hat.
"Lob der Rechtschreibung", eine sprachkundliche und journalistische Meisterleistung.
Das moderne Individuum muß die beiden Rollen, die in der klassischen Politik voneinander getrennt waren, in sich vereinigen, muß als Wirtschaftsbürger auf dem Markt sein Auskommen finden und als Staatsbürger sich um das Allgemeine kümmern. Das gelingt ihm nicht mühelos. […] Aber eine politische Ethik in der Moderne kann sich nicht damit begnügen, den Wirtschaftsbürger moralisch zu mäßigen und den Staatsbürger Toleranz und Gemeinsinn zu lehren. […] die Pflicht, ein gewaltfreies Miteinander der Staaten dieser Welt und ihrer Kulturen zu ermöglichen und die für weltbürgerliche Gemeinsamkeit zuträglichen Einstellungen und Sichtweisen auszubilden. Durch diese globale Ergänzung bürgerlicher Verantwortung werden die politischen Konflikte noch verschärft. […] In Otfried Höffes politischer Ethik werden diese drei Betätigungsfelder des modernen Bürgers näher untersucht. […] Gern hätte ich in einem bürgerethischen Kapitel etwas über den Orthographie-Oktroi unserer Kultusminister gelesen, zumal eine der Stärken dieses Buches in seiner Wirklichkeits- und Gegenwartsnähe liegt.
10. 10. 2004
Die Redaktion der SZ liefert gegen besseres Wissen ihr Handwerkszeug, die Sprache, der Willkür zerstörerischer Politik aus; es scheint, als hätte sie gleich Pontius Pilatus nicht die Haltung, dem staatlich verordneten Verbrechen an der Sprache entgegenzustehen […].
2004-10-09
Deutschlands Ministerpräsidenten stehen nun doch zur Rechtschreibreform. An ihrer Jahreskonferenz beschlossen sie, die von den Kultusministern einstimmig gutgeheissene definitive Einführung der neuen Rechtschreibung nicht aufzuhalten. Die Reform soll aber durch einen «Rat für deutsche Rechtschreibung» begleitet werden. […] Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) begrüsst den Entscheid. «Alles andere hätte an den Schulen zu einem Chaos geführt» […]. Unterstützung aus der Schweiz erhält auch der Rat für deutsche Rechtschreibung. Die Schweizer Vertretung im Rat wird die EDK zusammen mit dem Bund bestimmen.
Als einziges Zugeständnis an die Reformgegner […] beschlossen sie, die Berufung des "Rates für Deutsche Rechtschreibung", die zuvor die Kultusministerkonferenz beschlossen hatte, zu unterstützen. Die Ministerpräsidenten äußerten die Erwartung, "daß der Rat plural (Gegner und Befürworter) zusammengesetzt wird".
Das "Mindener Tageblatt" wendet sich gegen eine Rückkehr zur sogenannten alten Rechtschreibung: "Es gibt beträchtliche Unzulänglichkeiten und Widersprüche, zweifellos. Doch wäre eine Rückkehr zur alten Schreibung, wie sie unter großem PR-Brimborium nun einige Großverlage kampagnenmäßig zu erzwingen suchen, ein Witz – ein politisch bedenklicher dazu … […]"
Die Ministerpräsidentenkonferenz kreißte und gebar das unüberraschende Mäuslein. Es wäre fast heldenhaft aufrichtig gewesen, wenn die Landesfürsten zur verunglückten Rechtschreibreform gesagt hätten: Sie war ein Fehler, den wir korrigieren müssen.
[…] nur ein Beispiel aus unserer Literaturbeilage zur Buchmesse, wo Michael Maar die "Eigensinnigen Ansichten" Vladimir Nabokovs bespricht und auf die reformierte Schreibweise der Werkausgabe, die Dieter E. Zimmer besorgt hat, eingeht: "Warum mußte seit dem letzten Band die Einheitlichkeit der so weit fortgeschrittenen Ausgabe den Regeln der neuen Rechtschreibung geopfert werden? Siebzehn Bände lang ging alles gut, warum müssen wir jetzt von einem ,auf die Flamme zu fliegenden’ Nachtfalter lesen? Unweigerlich liest man diesen Satz beim ersten Mal falsch […].
2004-10-08
Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit (SPD) hat am Donnerstag vor Beginn der Konferenz der Ministerpräsidenten der Länder vorausgesagt, es werde keinen Beschluß zur Aufhebung der Rechtschreibreform geben. Das Thema war auf Drängen des niedersächsischen Ministerpräsidenten Wulff (CDU) vom bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber (CSU) auf die Tagesordnung gesetzt worden.
Ihr Werk wurde vielfach ausgezeichnet; so erhielt die Autorin, die auch gegen die Rechtschreibreform Stellung bezog, 1998 den Büchner-Preis.
Die Reformer […] übersehen unter anderem den juristischen Aufwand bei Rechtschreibvereinheitlichung: Bei unzähligen Rechtsvorschriften müßte geprüft werden, inwiefern die Neuschreibung zur Sinnveränderung führt. […] Eine Kostenschätzung von 50 Milliarden Euro erscheint nicht übertrieben.
Einen verfahrensrechtlich tragfähigen Weg zur Lösung weist die Regelung des Artikels 91 b Grundgesetz […]. Danach fällt der Komplex der "Bildungsplanung", zu der naturgemäß die Pflege von Sprache und Rechtschreibung gehört, in die gemeinschaftliche Verantwortung von Bund und Ländern. […] weshalb die Bundesregierung nicht länger schweigen darf. […] Bundesregierung und Länder sind deshalb aufgefordert, die Rechtschreibreform umgehend im Wege einer Vereinbarung gemäß Artikel 91 b Grundgesetz zurückzunehmen oder von Grund auf neu zu konzipieren. […] Die Kultusminister stehen nicht nur vor einem sprachkulturellen Scherbenhaufen, sondern auch vor dem drohenden Verdikt eines evidenten Verfassungsverstoßes.
Das Kernstück der Rechtschreibreform wird laut einer bisher unveröffentlichten Studie stark in Zweifel gezogen. Ergebnisse von Langzeittests des Leipziger Erziehungswissenschaftlers Harald Marx zeigen, daß der Zischlaut „ß“ der fehlerträchtigste der Rechtschreibreform ist. Fazit: Die verschiedenen s-Schreibweisen werden sieben Jahre nach der Umstellung derart durcheinander gebracht, daß nach der Reform mehr Fehler auftreten als vor der Reform.
2004-10-07
Prominente Schriftsteller haben am Mittwoch im so genannten «Frankfurter Appell» die Rücknahme der Rechtschreibreform gefordert.
Fünf verschiedene Wörterbücher stehen auf dem Tisch: zwei von Bertelsmann, drei aus der Dudenredaktion. Sie sehen aus wie normale Bücher, aber in Wahrheit sind es Eisenkugeln, wie man sie früher Schwerverbrechern ans Bein zu schmieden pflegte. […] Alle naslang ein andere und jede gehört auf den Schrottplatz. Deshalb fordert der "Frankfurter Appell zur Rechtschreibreform" die heute tagenden Ministerpräsidenten auf, die Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung zu beschließen.
Umfragen der letzten Jahre zeigen immer wieder, daß eine solide Mehrheit der Deutschen den Zustand ihrer Sprache als bedenklich und deren Entwicklung als beunruhigend empfindet. […] Das Gefühl einer Absenkung des allgemeinen Sprachniveaus durch die Medien, der Zunahme einer für die Deutschen ungewohnten Viel- und Mehrsprachigkeit sowie nicht zuletzt einer Verwirrung und Sprachzerstörung durch die Neuregelung der Orthographie kommen hinzu.
Wie sollte man die Bücher schützen und – direkt damit verbunden – wer sollte Zugang haben? […] Ähnlich verheerend wie Kriegszüge und Leser wirkten sich Revolutionen und Politikwechsel aus. […] Aber auch weniger drastische Ereignisse entwerten auf einen Schlag Bücher gleich tonnenweise: Umstellungen von Schriften (von Fraktur auf Antiqua oder von kyrillischen auf lateinische Buchstaben), Rechtschreibreformen und Gesetzesänderungen.
2004-10-06
Die Kultusministerkonferenz ist nach dem Bundesrat das zweite Vorzeigeinstrument der Länder und damit […] ein Baustein des Föderalismus. […] Doch war und ist die KMK auch noch etwas ganz anderes: ein parteipolitisches Kampffeld für A- und B-Länder, für Bildungsoptimisten und Bildungspessimisten, für Fortschrittshungrige und Konservierungssüchtige, für Experimentierfreudige und Mahnende, für Globalisierungsfetischisten und Wir-sind-wir-Bekenner. […] Wulffs Kündigungsbeschluß hat neben dem sachlichen auch politische und persönliche Gründe. Der junge Ministerpräsident lehrt seine Kollegen das Fürchten, die Kritik der mißlungenen Rechtschreibreform und damit der Vorwurf, deren Verantwortliche hätten seinerzeit versagt, war nur die Ouvertüre.
Der Regierende Bürgermeister Wowereit (SPD) sagte am Dienstag, es werde in Berlin keinen einstimmigen Beschluß zur Rücknahme der Rechtschreibreform geben.
Ein Hauptumsatzbringer in diesem Jahr ist die neue, die inzwischen 23. Auflage des Duden-Nachschlagewerkes Deutsche Rechtschreibung. Die Diskussion um die Rechtschreibreform hat dabei dem Verkauf eher geholfen, vermutet Pressesprecher Klaus Holoch. Denn der Rechtschreib-Duden liegt in mehreren Bestsellerlisten auf Platz eins der Sachbuchtitel.
Die mit der EU-Ost-Erweiterung verbundene Chance, […] Deutsch als dritte Arbeitssprache […] zu etablieren, ist verpaßt worden. Doch was will man von der politischen Klasse eines Landes erwarten, die sich […] der Bedeutung der eigenen Sprache seit langem nicht mehr bewußt ist, sie weder im In- noch im Ausland pflegt, sondern – wie die Rechtschreibreform und die als "brain-up" titulierte "Bildungsinnovation" exemplarisch zeigen – entweder verhunzt oder gar nicht mehr gebraucht.
2004-10-05
Keine Frage: Besonders wenig Freunde hat die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung bei den Poeten: In seltener, geradezu lemminghafter Einmütigkeit haben sie in den zurückliegenden Jahren in den Reihen der Reformgegner gewirkt, und sie tun es schon wieder. […] Übrigens ist von keinem aus dieser Runde je eine relevante wissenschaftliche Arbeit zu Fragen der Graphematik vorgelegt worden. Wenn man übrigens mit Menschen aus dieser Gruppe direkt das Gespräch sucht, geben sie oft unverblümt zu, dass sie entweder die Regeln gar nicht kennen (und sich an dieser Stelle voll auf ihre Lektoren verlassen) oder dass sie ihnen herzlich gleichgültig sind. […] Ich trete ein für die beschlossene Neuregelung und ich trete mit gleicher Entschiedenheit ein für das Recht von Autoren, ihre orthografischen Signale so zu setzen, wie es ihrem künstlerischen Gestaltungswillen entspricht.
Mißlich an der Debatte um die KMK, die sich manches vorwerfen lassen muß, sind die ständigen Verwechslungen zwischen Sekretariat und Fachministergremium. Wer die Vereinbarung über das Sekretariat kündigt, schlägt den Sack und meint den Esel. Im Kreuzfeuer der Kritik stehen die Minister mit ihren Beschlüssen, was vor allem bei der Handhabung der Rechtschreibreform sowie der Europäisierung der Hochschulen auch berechtigt ist.
Dazu ist anzumerken, daß im medizinischen Bereich die neue deutsche Rechtschreibung nicht brauchbar ist, da der Arzt in vielen Fällen auch juristisch eindeutige Tatbestände dokumentieren muß.
Eine "subalterne Einstellung" gegenüber den Kultusministerien hat der frühere Besitzer des Schulbuchverlags Moritz Diesterweg, Dietrich Herbst, den verantwortlichen Managern in den Schulbuchverlagen vorgeworfen. Wenn die Schulbuchverlage sich allesamt der Rechtschreibreform verweigert hätten, wäre es durchaus möglich gewesen, die Reform in einem frühen Stadium zu Fall zu bringen. […] Als haltlos bezeichnete Herbst auch das Argument, die Verlage könnten wegen zu hoher Kosten nicht zur bisherigen Rechtschreibung zurückkehren.
Natürlich, man könnte sagen, alles nur Sommertheater. Aber in diesem Stück geht es so bitter ernst und humorlos zu, wie das wohl nur teutonische Stämme fertig bringen. Es droht wieder mal Chaos. […] Wer Deutschland in diesen Tagen nur aus dem Feuilleton kennt, der müsste tatsächlich glauben, die Basis der Kultur würde weggeätzt, das Schlimmste droht: Beliebigkeit. Am Ende weiß niemand mehr, woran er sich halten soll. Und, das scheint dort nun wirklich das Allerschlimmste, jeder macht, was er will.
2004-10-04
Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Stoiber will erreichen, daß die Rechtschreibreform bis Mitte nächsten Jahres in mehreren Punkten geändert wird. Es müsse rasch wieder Klarheit über die deutsche Rechtschreibung geschaffen werden, sagte Stoiber in einem Gespräch mit dieser Zeitung. Der Umgang mit einem wichtigen geistigen Rüstzeug dürfe nicht der Beliebigkeit überlassen werden. […] Oberstes Ziel müsse es sein, "daß es in Deutschland wieder eine allgemein akzeptierte Rechtschreibung gibt", sagte Stoiber.
Wieder eine allgemein akzeptierte rechtschreibung? Gab es das je? Die zahlen betreffend schreiben und lesen sprechen dagegen.
Die Zeitung "Bild am Sonntag" ist am Sonntag zur alten Rechtschreibung zurückgekehrt. […] An diesem Montag sollen "Bild", "Welt" und weitere Springer- Tageszeitungen folgen. Die "Welt am Sonntag" wird am 10. Oktober umstellen. Nach Einschätzung des Erlanger Sprachwissenschaftlers Theodor Ickler bedeutet die Rückkehr einiger Zeitungen zur alten Schreibweise das Ende der Rechtschreibreform.
Es gibt viele Versuche, die deutsche Rechtschreibung zu korrigieren. Alle leiden an zwei Mängeln. Übersehen wird die Bedeutung der Orthographie für Leser, ignoriert die Kontinuität der Schriftform und deren Symbolwert für die eigene Sprache. Eine Charakteristik und Verteidigung der bewährten Rechtschreibung. […] Warum eigentlich geben die Griechen nicht ihre griechische Schrift auf? […] Sie ist ein Identifikationsmerkmal der Nation, nach innen und nach außen. Einen ähnlichen Symbolgehalt haben die Besonderheiten unserer Orthographie. Rechtschreibreformer haben stets das Ziel vor Augen, sie völlig zu beseitigen. […] Kontinuität wird erzielt durch Konservativität, durch das Festhalten am Schreibgebrauch über Jahrhunderte hinweg. Dauerhaftigkeit des Schriftkodes ist eine Grundbedingung jeder Schriftkultur. Deshalb nimmt die Schrift keine Rücksicht auf Veränderungen der Lautsprache, sondern gibt den üblichen Zeichen eine neue Interpretation. […] Oft kommt es zu Rechtschreibreformen, weil die Orthographie fälschlicherweise für ein "Kleid der Sprache" gehalten wird. […] Ich will der irreführenden Metapher vom "Kleid der Sprache" eine andere entgegensetzen: Die Rechtschreibung einer Sprache ist die "Haut der Sprache". Sie ist untrennbar mit ihr verbunden, mit der Sprache gewachsen und gealtert.
Also sprache = schrift = rechtschreibung. Dagegen gilt für Leiss nicht einmal die zweite gleichung: «Die Verschriftung ist nicht notwendigerweise mit Rechtschreibung verbunden. Es handelt sich um ein relativ junges kulturelles Phänomen, etabliert durch Sprach- und Schriftverbesserungsstrategen.» – «Dabei hätten Sprachwissenschaftler das nötige Wissen, um eine gesunde Skepsis gegen die Rechtschreibnormierung zu entwickeln: Sie wissen, dass Rechtschreibnormen nicht ‹ewig› sind, daß sie historisch entstanden und damit datierbar sind und daß sie in engem Zusammenhang mit der Herausbildung der Nationalstaaten stehen.» Skepsis ist im lichte der jüngsten vergangenheit auch gegenüber «nationalen identifikationsmerkmalen nach innen und nach aussen» angebracht. Dazu passt die munskesche geschichtsfilosofie: geschichte als erklärung des heutigen zustands, aber nicht als kontinuum. Denn gerade jetzt ist die geschichte an ihrem ende angelangt; zukünftige veränderungen wären «zerstörung». Zum glück hat uns das ende der geschichte erst nach dem verschwinden der fraktur ereilt. Diese wurde genau mit Munskes argumenten verteidigt. Munske beweist unfreiwillig, dass man das unverzichtbare schon nach kurzer zeit klaglos verschmerzt.
Die neue Rechtschreibung hat für ihn Vorrang, eine Rückkehr zur alten lehnt er ab. Doch alles Unvernünftige soll aus der neuen Rechtschreibung getilgt werden […].
Alles unvernünftige aus der rechtschreibung zu tilgen, ist eine superidee.
2004-10-02
Die Schulbuchverlage […] waren von Anfang an in die Planung der Rechtschreibreform einbezogen. […] Der Inhalt der Reform und die Auswirkungen auf die deutsche Sprache interessierten die Verleger nicht. Im September 2004 hieß es in einer Mitteilung, daß der Verband der Schulbuchverlage (VdS) "sich nicht an einer Diskussion um die Reforminhalte beteiligt".
In einem Memorandum für Ministerpräsident Stoiber zieht der CSU-Politiker, der in seiner Amtszeit einigen Einfluß auf die Reform genommen hatte, eine skeptische Bilanz. Die Mehrheit der Bevölkerung lehne die neue Rechtschreibung ab, schreibt Zehetmair. Die Schulen liefen Gefahr, Kenntnisse zu vermitteln, die außerhalb des Unterrichts nicht akzeptiert würden.
Noch einfacher wäre, man schriebe anstelle von "daß, dass und das" nun "dat".
Welche Sprache ist sich schon anderthalb Jahrtausende lang so gleichgeblieben wie die arabische? Die letzte Rechtschreibreform liegt über tausend Jahre zurück.
2004-10-01
Dabei ist die Kritik an der KMK so alt wie der Föderalismus selbst. Durch ihr uneinsichtiges Verhalten bei der Rechtschreibreform, manche unüberlegten Beschlüsse zur Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge und anderes mehr gibt die KMK auch Anlaß dazu.
10. 2004

Wenn wir Schweizer also weiterhin bei unserer (sehr einfachen) Regelung der S-Schreibung bleiben, verhalten wir uns nicht inkonsequent, sondern wir sind nur der Auffassung, dass für einen Sonderfall nicht unbedingt ein Sonderzeichen verwendet werden muss.

Viel Rechthaberei und Polemik ist hier dabei. Dass etwa die totale Rückkehr zur alten Rechtschreibung gefordert wird, inklusive der komplizierten, alten ß-Regeln, mutet, besonders in der Schweiz, wo wir seit mehr als einem halben Jahrhundert ja ohne ß auskommen, unverständlich an.
Die komplizierte deutsche Rechtschreibung steht ja nicht erst seit gestern am Pranger. Denn Normalsterbliche wie Stefan Aust und Peter Müller mussten sich nicht nur als Schüler, sondern lebenslang mit einem Schreibsystem quälen, dessen Regeln oft nur für 60 Prozent der Fälle galten und daneben 40 Prozent Ausnahmen produzierten. Deshalb war zunächst ja auch fast jedermann für eine Reform.