Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Schweizerische Lererzeitung, , 18. jg., nr. 1, s. 2 bis 3, antiqua, ß; worttrennung am zeilenende durch den brauser
AN UNSERE LESER.
Ein jar, das reich an anregungen und geistigen samenkörnern für das pädagogische ackerfeld war, ligt hinter uns. Ein anderes, das nicht minder reich sein dürfte, hat begonnen, und mit im ein neuer abschnitt im leben der „Schweizerischen Lererzeitung“. Diser neue abschnitt ist geschaffen durch di refision der statuten des schweizerischen lererfereins und durch beschlüsse, di er an seiner letzten hauptfersammlung in Aarau gefasst hat.
Nach den §§ 1 und 2 der refidirten statuten bezweckt unser ferein nunmer di förderung des erzihungs- und unterrichtswesens nicht nur in der schule, sondern auch in dem haus, und es steht auch der beitritt zu unserem ferein jedem „freunde der folksbildung“ frei. One zweifel ist dise neuerung höchst zeitgemäß. In einer zeit, di, wi di unserige, auf ferschidenen gebiten schöpferisch gestalten will, wäre eine kastenmäßige abschlißung der lererschaft fom übel. Di heilige sache der folksbildung wird zur sache aller. Das ganze folk soll bei der beratung der bildungsinteressen sich beteiligen, kann es ja doch sein gesammtwol kaum auf eine andere weise sicherer fördern, als durch hebung der folksbildung und ist mit diser hebung auch di möglichkeit der ferwirklichung der religiösen, politischen und sozialen reformen gegeben. Dass eine allseitige beteiligung auch der schule förderlich ist, leuchtet ein. Darum macht der lererferein seine tore weit auf und ladet alle zu sich ein, di ire kraft in den dinst des gesammtwols stellen. — Dises hat aber für di „Lererzeitung“ wichtige konsequenzen. Si muß fon jetzt an auch fragen erörtern, di nicht speziell schulfragen sind. Namentlich ligt ir jetzt auch ob, das wichtige gebit der familien- oder häuslichen erzihung zu besprechen. Di grosse bedeutung dises gebites der erzihung wird nimand ferkennen. „Das daheim macht den menschen“, sagt ein sprichwort; denn di zucht des hauses bildet namentlich den Charakter. Aus den familien stammen di grundsätze und regeln, welche di gesellschaft regiren; das daheim ist di einflussreichste schule der zifilisazion. Indem wir auch dises gebit der erzihung besprechen, suchen wir namentlich auch den nichtlerern aus unsern lesern zu dinen. Zur behandlung der fragen aus der häuslichen erzihung ist fom zentralausschuss ein besonderer redaktor bestellt in der person des herrn sekundarlerer Meyer in Neumünster bei Zürich. Noch ist ein anderes gebit, das in folge der statutenrefision in zukunft mer besprochen werden muss, als es bis jetzt geschehen konnte: das gebit der organisazion und des Unterrichts der höhern schulen. Zur bearbeitung dises reichen gebites ist als redaktor gewonnen herr professor Götzinger in St. Gallen.
Eine andere neuerung in folge eines beschlusses des lererfereins ist di neue ortografi. Für unsere leser im lererstande bedarf es dafür hir keiner worte mer; si wissen, dass di männer der sprachwissenschaft auf unserer seite stehen und dass zudem 2000 schweizerische lerer, di männer der praxis, sich in iren konferenzen für di fereinfachte ortografi erklärt haben. Nur für unsere leser außerhalb des lererstandes ein kurzes wort der beruhigung. — Es ist nicht bloße laune oder neuerungsucht, di der „Lererzeitung“ das neue kleid anzihen, sondern dis tut di libe zu den kindern. Unsere bisherige ortografi ist so regellos und ferlottert, dass si fon der merzal der kinder nicht erlernt werden kann. Hunderte fon kostbaren stunden gehen mit nutzlosen Übungen ferloren ; der lerer steht in einem hoffnungslosen kämpf mit einer unzal fon feiern; e/schöpft wasser in ein sib oder wälzt den stein des Sisifus. Das ende ist di entmutigung und der schlendrian. Es gebitet daher di pflicht, trotz dem spott der weit, di „schlechtschreibung“ zu entfernen und damit fil kostbare zeit für di jugend zu gewinnen. Es müßten nach unserer reform in zukunft folgende feler wegfallen; alle ferstöße gegen di grossen anfangsbuchstaben der dingwörter, alle ferstöße gegen di denung, alle ferwechslungen fon v und f, alle feler gegen ck und tz. Ir name ist legion. — Aber di ortografireform nun gleich auf einen schlag in di schule und das leben einzufüren, daran denkt nimand; das hiße ja den turm zu Babel wider aufbauen oder gar di weit aus dem geleise heben. Forläufig begnügt sich der lererferein damit, einen fersuch mit seinem organ anzustellen. Dis kann ja geschehen, one einen störenden einfluss auf den weltlauf auszuüben; sonne, mond und sterne bewegen sich nach denselben gesetzen;
„Di sonne tönt nach alter weise In brudersphären wettgesang“; —
auch sinken di aktien der eisenbanen nicht; di sprache der teologen und filosofen wird nicht ferwirrter und der weltfride bleibt ungestört. — Folglich dürfen wir den fersuch wagen. Wir werden dabei erfarungen sammeln, di ansichten abklären und di sache in Deutschland und der Schweiz mer und mer zur reife bringen. Bewärt sich di sache, so werden sich später schon mittel und wege finden, um diselbe, wenn auch nur schrittweise, ins leben einzufüren. Es wird also wol erlaubt sein, hirmit zur nachfolge Grimms einzuladen, eingedenk des sprüchleins fon Göthe:
„Willst du dir aber das beste tun,
So bleib’ nicht auf dir selber ruhn,
Sondern folg’ eines meisters sinn;
Mit im zu irren ist dir gewinn.“
Wi es sich dem organ der schweizerischen lererschaft gezimt, so wird di „Lererzeitung“ auch, wi bisher, di förderung und freisinnige entwicklung des gesammten schulwesens anstreben. Auch schaut si hoffnungsreich in di zukunft; sind ja doch di weltferhältnisse im großen ganzen der schule günstiger als je.
Di großartigen fölkerschicksale unserer zeit, sowi di kirchlichen kämpfe haben überall schulreformerische gedanken herforgerufen. Namentlich ist für Deutschland seit dem sturz des reakzionären ministeriums v. Mühler eine neue, bessere zeit für di schule angebrochen. Di kirchliche beformundung der schule ist durch das Aufsichtsgesetz gebrochen; das haus der abgeordneten hat auf antrag des kultusministers Falk di mitglider der geistlichen orden und kongregrationen von der lertätigkeit an öffentlichen folksschulen ausgeschlossen. — „Si leren uns, was wir tun sollen.“ — Di leitung der seminarien wird mer und mer in di hände tüchtiger schulmänner gelegt, auch wenn dise nicht geistliche sind. Fon Rom ist di deutsche folksschule nächstens befreit. Angesichts dieser tatsachen muss man an den jubelruf Huttens denken: „O jarhundert, di geister erwachen; di studien blühen; es ist eine lust, zu leben“! In wenig jaren wird bei diser wandlung der dinge di fon irem bösen geist befreite folksschule Deutschlands einen ni geanten aufschwung nemen; di wissenschaft der pädagogik mit allen iren hülfswissenschaften wird mer und mer fon fremdem einfluß sich befreien und damit eine neue ära beginnen. O wi wäre es doch dem tapfern kämpen Diesterweg zu gönnen gewesen, noch di ereignisse unserer tage zu erleben und in inen den sig seiner idéen, den sig der fernunft, den sig des lichtes und den sig der warheit anbrechen zu sehen!
Auch in der Schweiz sind durch di leren des berüchtigten sillabus fom 8. Dezember 1864 und durch den frechen schwindel der päpstlichen unfelbarkeit fon 1870 di geister erwacht und zum kämpfe gerufen. Ja, wir dürften es noch erleben, dass Christus wider einmal auftritt, den strick in der hand, und di „geldwechsler und taubenkrämer“ zum tempel hinausjagt. Auch di worte des Mephistopheles scheinen in erfüllung gehen zu wollen:
„Ferachte nur fernunft und Wissenschaft,
Des menschen allerhöchste kraft!
Lass nur in blend- und zauberwerken
Dich fon dem lügengeist bestärken:
So hab’ ich dich schon unbedingt!“
Darum darf auch die schweizerische folksschule hoffnungsreich sein. Di zukunft gehört ir. Doch gilt es jetzt, sich zu stärken und zu einigen, namentlich aber im laienelement neue hülfstruppen für den schweizerischen lererferein zu werben!
Mögen auch di schweizerischen lerer am geistigen kämpfe, der da für di höchsten güter des menschengeschlechts entbrannt ist, lebhaften anteil nemen, und wollen si auch di „Lererzeitung“ durch zalreiche mitteilungen aus iren kreisen beleben und erfrischen. *) Alle anschauungen innerhalb der schweizerischen lererschaft dürfen hir zur geltung kommen. Je lebhafter di debatte, desto besser. Eine freundliche einladung zum mitarbeiten ergeht hirmit ganz besonders an di bisherigen korrespondenten in den ferschidenen kantonen der Schweiz. Mögen si unserer fane treu bleiben und noch durch kräftigen zuzug anderer ferstärkt werden. Ferschidene ausgezeichnete lerkräfte der Schweiz haben jetzt schon ire ferdankenswerte mitwirkung zugesagt.
Di „Lererzeitung“ wird auch in zukunft rezensionen fon pädagogischen schriften bringen. Doch behält sich di redakzion gegenüber den ferlagshandlungen di freiheit for, nicht alles zu rezensiren, was überhaupt eingesendet wird, sondern nur das wirklich gute und empfelenswerte.
„Und nun glück auf zum neuen jar!
Du, Pestalozzi’s jüngerschar!
Ein häuflein klein, doch groß dein zil,
Hast du darum der feinde fil:
Des lichtes feind’ und der fernunft,
Der egoist, di heuchlerzunft;
Doch alle werden einst noch weichen
For deines geistes schwertesstreichen.
Blank soll dein schwert geschliffen sein,
Und kün dein mut, dein herze rein.
Des folkes friden, glück und heil,
Kein and’rer lon wird dir zu teil,
Des faterländes rum und glänz
Erfüllet deine sele ganz.
Drum kämpfe recht: In disem zeichen
Wirst du dereinst dein zil erreichen.“
(v. Pr.)
*) Korrespondenzen werden auch in zukunft honorirt werden. Di übertragung in di fereinfachte ortografi geschiht durch den setzer.