Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Die Weltwoche, , nr. 43
Besuch im Hauptquartier von Denks Krieg
Ein wild entschlossener bayrischer Studiendirektor führt eine Kampagne gegen die Rechtschreibreform und für die deutschen Dichter
Von Kathrin Meier-Rust
«Heute ist die ‹Süddeutsche› gekippt und die ‹Welt› dazu. Den ‹Spiegel› haben wir sowieso. Wir stehen am Indus! Aber keine Angst, den Typhus [wie weiland Alexander der Grosse] bekomme ich nicht» – das als Begrüssung. Klassische Bildung ist von einem bayrischen Studiendirektor schliesslich zu erwarten. Und Friedrich Denk, der 53jährige Deutschlehrer aus Weilheim in Oberbayern, der den Feldzug gegen die Rechtschreibreform lancierte, verströmt jenen jugendlichen Feuereifer, dem wohl einst schon das persische Imperium erlag: «Die Festung Rechtschreibung wird fallen. Sie wird fallen, weil sie aus Pappe ist.»
Ganz soweit ist es noch nicht. Aber seit Denk am 27. September seine «10 Argumente gegen die Rechtschreibreform» zu Papier brachte, diese an 50 Menschen verschickte, sich ein Handy kaufte und damit an die Frankfurter Buchmesse reiste, ist tatsächlich viel passiert. Einige hundert Schreibende deutscher Sprache haben seine Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform unterzeichnet, darunter ganz grosse Namen aus Literatur und Wissenschaft, aus Zeitungs- und Verlagswesen. Und einige tausend Leser deutscher Sprache, die das Rotgedruckte im neuen Duden bisher eher kaltgelassen hatte, stossen sich nun plötzlich an der «Gämse» und dem «Stängel», die da auf uns zukommen, am «Kaffeeersatz» und an der «Schifffahrt», befassen sich mit dem «Nessessär», dem «Panter» ohne h und mit Denks Aufruf, doch um Himmels willen «beim alten», und nicht «beim Alten», zu bleiben.
Eine Art von Kinderquälerei
Alles begann damit, dass in Bayerns Schulen seit Anfang des Schuljahres nach der neuen Orthographie unterrichtet wird. Verstösse gegen die neuen Rechtschreiberegeln müssen zwar noch nicht als Fehler gezählt, aber grün angestrichen und am Rande mit einem ü für überholt markiert werden. Als braver Beamter tat dies auch der Deutschlehrer Friedrich Denk – und lernte das neue Regelwerk dadurch so richtig kennen. Den Vorwurf, mit seinem Protest zu spät zu kommen, will er deshalb nicht gelten lassen: Gerade die Erfahrungen an den Schulen hätten es ja erst möglich gemacht, die Rechtschreibreform in ihrem ganzen Umfang und Unfug zu ermessen. «Eine Art von Kinderquälerei. Man konnte nur den Zorn kriegen, und diesen Zorn, den setzte ich dann um in die Aktion.»
Die ist gerade in vollem Gange an diesem Nachmittag. In der Denkschen Wohnstube mit dem Kachelofen sitzen Journalisten, das Telefon geht pausenlos, Frau Denk serviert Kaffee, und Tochter Franziska (9. Klasse) begründet engagiert, warum «er tat ihr leid» (alt) eben ganz und gar nicht dasselbe sei wie er tat ihr Leid» (neu) und dass ein Mann in Zukunft eine Frau zwar (höflich) «sitzen lassen», aber nicht mehr (schändlich) «sitzenlassen» könne. Das aber sind Angriffe nicht nur auf die Form, sondern auf die Bedeutung von Wörtern. Und genau dies hatte den zwanzigjährigen Sohn Wolfgang, der gerade Orwells «1984» las, bewogen, seinen Vater anzustacheln, doch endlich etwas zu tun, statt nur zu schimpfen.
Denk selbst hängt derweil am Handy. Er sucht Sponsoren für eine ganzseitige Anzeige in der FAZ, die, samt Coupon für eine Abstimmung zur Rechtschreibreform, am Wochenende erscheinen soll: «Die Volksvertretungen haben nichts getan, aber wir sind das Volk und stimmen ab. Kennen Sie vielleicht einen reichen Schweizer? Und einen Österreicher bräuchten wir auch…» Die Weilheimer Post wird avisiert, Schüler sollen die eingehenden Antworten auszählen, und das Ergebnis soll dann pünktlich zur Kultusministerkonferenz in Dresden am 24.10. vorliegen. «Hier geschieht Sprachgeschichte», und gerade plant Denk auch schon das grosse Fest «zum Sieg der Poesie über die Bürokraten» … da, endlich, hat sich ein erster Sponsor gefunden.
Friedrich Denk ist in seinem Element, denn er liebt Kampagnen. «Seit zwanzig Jahren beobachte ich Kampagnen, nun mache ich selbst eine.» Denk hat zwei Bücher geschrieben, in denen er Kampagnen analysiert: jene gegen den sowjetischen Dissidenten Wladimir Bukowski (Die verborgenen Nachrichten, 1978) und eine 1993 von der linken Presse gegen die Schriftstellerin Gertrud Fussenegger entfachte (Die Zensur der Nachgeborenen, 1995). Diese theoretische Vorarbeit komme ihm nun zugute, meint Denk. Und dann war da ja auch noch die Sache mit dem Bundesministerium für Gesundheit, das neulich die gesamte Auflage einer Broschüre über Drogen einstampfen musste, weil Friedrich Denk befand, dass darin die Droge Ecstasy verharmlost werde.
Doch nicht dieses Know-how hat den Aufstand schliesslich ins Rollen gebracht, sondern die prominenten Namen so vieler deutscher Schriftsteller, die Denk in seinem Protest so prompt unterstützten. Auch hierzu gibt es eine Vorgeschichte, denn im Gegensatz zu uns anderen kennen gerade die deutschen Schriftsteller den Denk in Weilheim schon lange. Seit 1980 gibt Friedrich Denk die «Weilheimer Hefte zur Literatur» heraus, schön gestaltete Nachdrucke von Texten lebender Autoren. Mit ihrer Hilfe werden in bayrischen Gymnasien die Schüler auf jene geradezu legendären Lesungen vorbereitet, die, wiederum organisiert von Denk, seit 1989 als öffentliche Veranstaltungen in den Gymnasien von Bayern, Sachsen und Thüringen stattfinden. Und dann gibt es auch noch den «Weilheimer Literaturpreis», der einzige Dichterpreis, den eine Schüler-Jury vergibt.
Kaum ein bekannter Schriftsteller, der nicht in der Weilheimer Turnhalle gelesen hat, liebevoll betreut, gegen Honorar und, dies vor allem, vor lauter jungen Menschen. Der letztjährige Preisträger der Weilheimer Schüler hiess Thomas Hürlimann, er gerät noch heute ins Schwärmen: «Man reist von Stadt zu Stadt und liest in Stadthallen oder Turnhallen, hochoffiziell, die Leute bezahlen Eintritt, und überall erwarten einen 300 bis 500 Menschen. Während der Lesung dürfen die Schüler Fragen stellen, und da kommen dann die tollsten Fragen. Das Ganze ist absolut phantastisch, das Beste, was ich je an Lesung erlebt habe. Und erfunden hat es Friedrich Denk.» Für Hürlimann ist Denk ein «Enthusiast, wie es sie nur noch ganz selten gibt».
Ein Enthusiast der Literatur und des Lesens. Denk hat als «Beauftragter für Leseund Literaturförderung» in Bayern für sein Engagement das Bundesverdienstkreuz erhalten. Und obwohl er als Deutschlehrer die Schwierigkeiten des richtigen Schreibens aus nächster Nähe kennt, geht er bei seinem Protest doch immer vom Leser und nicht vom Schreiber aus. Nicht weil die Reform das Schreiben nicht erleichtert, sondern weil sie beim Lesen stört, hält Denk das Unternehmen für so verfehlt: «Wir lesen tausendmal mehr, als wir schreiben, und deswegen ist der Leser viel wichtiger als der Schreibende. Einzig in der Schule müssen Leute schreiben, die keine Schreiber sind.» Wegen der Schwierigkeiten von 10jährigen aber den Bedeutungsreichtum einer Sprache einschränken zu wollen – das ist es, was Denk einen «Anschlag auf die Sprache» nennt.
Gibt es denn wirklich gar nichts Gutes an dieser Reform? Wenig, doch die Trennung von st (wie sp und sk) hält Denk für sinnvoll und auch einige der Änderungen in der Grossschreibung, wie etwa (neu) «heute Abend» statt (alt) «heute abend» – «das hätten sich allerdings zwei Deutschlehrer an einem Nachmittag ausdenken können, dafür hätte man keine Kommissionen gebraucht». Für die Schweiz hält Friedrich Denk die Rechtschreibreform deshalb für fatal, weil sich hier besonders viele Menschen, die Deutsch als Fremdsprache gelernt haben oder lernen, mit sinnlosen Änderungen plagen müssen.
Doch was Friedrich Denk zu flammender Empörung treibt, sind nicht nur die Ungereimtheiten und Hässlichkeiten der Rechtschreibreform, für die ihm die Beispiele nie auszugehen scheinen, sind nicht nur deren Kosten, die er auf Milliarden schätzt, und schon gar nicht der Mehraufwand für geplagte Pädagogen (obwohl er diesen für sich selbst schon ausgerechnet hat: 250 Stunden bis zur Pensionierung). Nein, was Denk heute vor allem anderen empört, ist die Arroganz einer Kulturbürokratie, die dem Volk die Rechtscheibreform erst per Bekanntmachung überstülpen wollte und sich nun über den zu spät komenden Protest der Dichter auch noch mokiert. Die den Literaten rät, doch bitte weiterzuschreiben wie bisher.
«Reiner Zynismus», erregt sich Denk. «Auch Dichter schreiben nach Duden, und wer es nicht tut, wird schwierig zu lesen, wie Arno Schmidt. Eine skandalöse Empfehlung und eine Unverschämtheit.» Und die lässt ein Musterbeamter wie Denk auf seinen Dichtern nicht sitzen.