Kilb, Andreas:
Pränatale Prosa.
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung,
, nr. 44, s. 44,
Feuilleton
Ian McEwans Roman „Nussschale“ ist ein seltsames Buch. Es hat nicht nur einen ungeborenen Erzähler; alles, was man ihm vorwerfen kann, kann man ihm auch zugutehalten. […] Denn „Nussschale“, dieser erste McEwan-Roman mit drei S im Titel (einer von vielen Folgeschäden der Rechtschreibreform) ist vom ersten bis zum letzten Satz aus der Sicht eines noch ungeborenen, dann, auf den Schlussseiten (noch ein Sss-Wort!), hastig und unverhofft […] ins Leben geworfenen Kindes erzählt.
In der Schweiz gäbe es diesen «folgeschaden» nicht.
Kilb, Andreas:
Ihre Gegenstimme. Im Bundestag: Herta Müller über Sprache und Heimat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung,
, nr. 44, s. 27,
Feuilleton
Zuvor, vor Herta Müllers Beitrag, hatte der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder die rasante Verenglischung der Politikersprache ("Wir haben uns committed") gegeißelt, und anschließend erinnerte Lammert mit Blick auf das Debakel der Rechtschreibreform an die Verantwortung der Politik dafür, die Sprache von politischem Einfluss rein zu halten.
Kilb, Andreas:
Last Exit Pappelallee. Mehr Raum war nie: Wo Suhrkamp jetzt zu finden ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung,
, nr. 5, s. 29,
Feuilleton
Der Häuserblock in der Pappelallee 78/79 im Bezirk Prenzlauer Berg ist ein Musterstück des Berliner Gebrauchsklassizismus. […] Von 1993 an residierte das Finanzamt Prenzlauer Berg unter den Fledermausgauben […]. Danach stand der mächtige Steinkasten leer - bis Suhrkamp kam. "Hier kein Finanzamt" steht auf einem weißen Schild an der Tordurchfahrt, und daneben, in Minuskeln, "suhrkamp". Das sei sehr ärgerlich, erklärt Tanja Postpischil, die Pressechefin des Verlags: Diese Kleinschreibung müsse so rasch wie möglich korrigiert werden.
Kilb, Andreas:
Die Koalition der Zahlungswilligen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung,
, nr. 269, s. 33,
Feuilleton
Der Kulturausschuss des Bundestages ist das kulturpolitische Kontrollorgan der Berliner Republik. […] Er hat über Filmförderung und Erinnerungskultur diskutiert, Experten zur Rechtschreibreform und zum Urheberrecht angehört und einen Unterausschuss "Neue Medien" gegründet […].
Kilb, Andreas:
"Satellit" schreiben, das können sie — aber sonst? Formfehler: Aufschlussreiche und nicht unbedingt beruhigende Erkenntnisse der Gesellschaft für deutsche Sprache.
Frankfurter Allgemeine Zeitung,
, nr. 137, s. 41,
Feuilleton (668 wörter)
Die Rechtschreibreform wird auch zwölf Jahre nach ihrer Verkündung und zwei Jahre nach ihrer endgültigen Einführung von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht akzeptiert. Das ist das wichtigste Ergebnis einer Studie zum Sprachverhalten der Bundesbürger, die die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) beim Institut für Demoskopie in Allensbach in Auftrag gegeben hat. […] Wer das Drama der deutschen Rechtschreibreform kritisch verfolgt hat, die intellektuellen Intrigen und politischen Winkelzüge, die ihre Einführung begleitet haben, muss sich in seiner Skepsis durch die Allensbach-Studie bestätigt fühlen. Wie von vielen vorausgesagt, hat die Reform die Unsicherheiten im Umgang mit der deutschen Sprache nicht vermindert, sondern verstärkt. Die Abneigung gegen das Reformwerk geht, auch wenn die Studie diesen Aspekt nicht aufschlüsselt, offenbar quer durch alle Altersgruppen. Aber vielleicht werden uns die Tücken des Deutschen ja einmal winzig vorkommen, wenn wir erst alle mit unseren Kindern Chinesisch büffeln.
Und dann vor der schwierigen frage stehen, ob uns die vereinfachte oder die traditionelle chinesische schrift besser gefällt.
Kilb, Andreas:
Das Amt und sein Preis. Klaus Staeck muß die Akademie aus ihrer Lähmung führen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung,
, nr. 101, s. 43,
Feuilleton
Wenn die Akademie bei aktuellen Themen mit dem nötigen Gewicht auftreten, sprich: auf Anlässe wie die Rechtschreibreform oder den Karikaturenstreit intellektuell und ausstellungstechnisch angemessen reagieren soll, müssen die Direktoren einen Teil ihrer Programmkompetenz ans Präsidium abtreten. Daß ihnen dieser Verzicht gelingt, darf bezweifelt werden.
Kilb, Andreas:
Kuhhandel. Nicht empfehlenswert: Der Rat für deutsche Rechtschreibung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung,
, nr. 50, s. 33,
Feuilleton (665 wörter)
Was steht nun in den Empfehlungen des Rechtschreibrats? Zum Beispiel, daß Wortverbindungen wie "kennenlernen" und "kleinschneiden" auch "kennen lernen" und "klein schneiden" geschrieben werden können. […] Daß "Freestyle" und "Hightech" zusammen, aber "Round Table" auseinander geschrieben wird. […] So will es angeblich der "existierende Gebrauch", das "Akzentmuster", die Sprachpraxis. Wer aber definiert diese Praxis? Das waren, wie Zehetmair einräumte, die Mitglieder des Rates für Rechtschreibung […]. Beim "Round Table" etwa gaben die Schweizer Stimmen den Ausschlag, und auch "kennen lernen" geht auf Schweizer Wünsche zurück. Es gab, mit anderen Worten, einen Kuhhandel um die deutsche Rechtschreibung, einen Interessenausgleich, wie er auch in anderen Kommissionen üblich ist. Damit hat der Rat den Geburtsfehler der Rechtschreibreform fortgeschrieben. Nicht die Sprachgemeinschaft, sondern ein supranationales Gremium hat festgelegt, wie die deutsche Sprache zu handhaben sei. Dessen Empfehlungen mögen von Fall zu Fall vernünftig sein, als Ganzes sind sie ein Unding, ein Oktroi.