In der Perspektive der Bildung erscheint der Mensch als das unfertige Wesen, das sich zu dem macht, was es an sich ist. Der Vollzug dieser Entwicklung zu sich selbst schließt die Aufforderung ein, sich frühzeitig von lieb gewordenen Vorstellungen zu befreien und auf einen in jeder Hinsicht unsicheren Weg zu begeben. Bildung ist ein Projekt, das Mut und Zähigkeit verlangt. Ihr Weg ist ein Weg der Veränderung, im Fall des Gelingens auch der Besserung. Er verlangt, dass der Betreffende sich selbst und die Welt kennenlernt, um zu verwirklichen, was in ihm steckt - um seiner selbst und um der Gemeinschaft willen, die von seinen Leistungen profitiert. Tatsächlich ist Bildung alles andere als eine Privatangelegenheit, und es liegt in der Sache begründet, dass sie die Politik in die Pflicht nimmt, Mittel und Infrastruktur bereitzustellen. Die Bildungspolitik von heute hat diesen Bedingungszusammenhang aus dem Blick verloren. Man muss ihr das nicht einseitig zur Last legen. Offenbar folgt sie einem gesellschaftlichen Konsens, der von Anforderungen nichts hören will und eher dazu neigt, Ist-Zustände festzuschreiben. Dem Werden, das der Idee der Bildung zugrunde liegt, stellt dieser Konsens das So-Sein persönlicher Identitäten und Verhältnisse als unverrückbar gegenüber. In der Quotenfixierung der öffentlich-rechtlichen Medien oder im Populismus der Rechtschreibreform tritt die Neigung exemplarisch zutage, der stets mühsamen Orientierung am Optimum die achselzuckende Hinnahme der Dinge vorzuziehen, wie sie nun einmal sind.
Eben: Rechtschreibreform ist nicht populismus, sondern die aufforderung, sich frühzeitig von lieb gewordenen vorstellungen zu befreien und auf einen in jeder hinsicht unsicheren weg zu begeben.