Die Debatte um die Rechtschreibreform und, erst kürzlich, die Diskussion um die achtjährige Gymnasialzeit haben gezeigt, wie anfällig der kulturelle Föderalismus dafür ist, Entscheidungen von nationaler Tragweite im Zwielicht der Hintergrundgremien nach Maßgabe des Mittelmaßes zu treffen.
Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
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Neubauer, Hans-Joachim

Kommt die Reform der Reform also an ihr Ziel? Vieles hängt ab von der Reaktion der Medien.

Für Deutschland ist es noch immer unmöglich, im europäischen Rahmen ein deutliches kulturpolitisches Profil zu zeigen. […] Zum Schaden des Ganzen werden ausgerechnet die föderalen und partikularen Instanzen, die sich schon bei der Reform der deutschen Rechtschreibung lächerlich gemacht haben, nun noch mehr internationales Gewicht erhalten.

Bayern und Nordrhein-Westfalen leisten Widerstand. […] Zum anderen stellen die abweichenden Bundesländer die Frage nach dem Sinn der Kultusministerkonferenz. […] Vielleicht beschert uns ja der September ein wirkliches Bundeskulturministerium. Dessen erste Handlung sollte es sein, in der Frage der Rechtschreibung das Vernünftige zur Norm zu machen

Die Reformer argumentierten zuletzt, nach der Erprobungsphase des Regelwerks stehe nun die Einheit der Rechtschreibung auf dem Spiel; eine Rücknahme verursache nur Chaos und Kosten. Die Opfer ihrer schlampig entworfenen und arrogant durchgesetzten Neuregeln aber sind die Kinder: Sie stehen vor einem Chaos aus Varianten und Versionen; von Einheit ist keine Spur, Geld hat das Ganze sowieso verschlungen, und nur noch Spezialisten wissen, welcher Duden gerade noch oder schon wieder gilt.

Auch in Österreich und der Schweiz existieren geteilte Lager, hier wie dort gibt es Anhänger und Gegner der neuen Regeln. Entsprechend fallen die Reaktionen auf die deutsche Debatte aus. Allen, die sich an diesem Streit beteiligen, ist klar, wie wichtig die Diskussion beim deutschen Nachbarn ist. […] Aus Schweizer Sicht erscheinen die deutschen Querelen nicht immer verständlich. Schließlich haben eidgenössische Tastaturen kein ß. Damit fällt das augenfälligste Signal der neuen Schreibung weg.
Der Brief der Präsidenten ist mehr als ein Zeitdokument, er ist ein Warnruf. Er spricht aus, was schon jetzt in Gefahr ist und was unwiederbringlich verloren sein wird: die kulturstiftende und einigende Macht der Norm.
Normung ist Kultur; wie zuletzt der Orthographie-Streit zeigte, empfinden erfolgreich Normierte Normenreformen als Barbarei. In Berlin macht nun unter dem Namen "Redesigndeutschland" eine offene Gruppe von Designern, Technikern, Juristen, Architekten und Wissenschaftlern mobil gegen das gesellschaftliche Normensystem. Doch anders als vergangene politische Avantgarden zielen diese Normoklasten als wirkliche Barbaren aufs große Ganze, auf Zeit, Raum und Sprache.
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