Wenn man keine anderen Sorgen mehr hat, macht man sich gern solche wie diese: Braucht die deutsche Sprache einen neuen Umgang mit ihrem exquisitesten Zeichen, mit dem scharfen S, […] wie es in geschriebenen Wörtern wie «Muße» oder «büßen» vorkommt? Die deutsche Rechtschreibreform hat dessen Bedeutung etwas geschmälert […]. Ganz abschaffen mochten die deutschen Sprachregulierer das seltsame Zeichen nicht, während es in der Schweiz schon seit Jahrzehnten praktisch ausgerottet ist. Dies mit gutem Grund […].
Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
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Schibli, Sigfried
Das Sinfonieorchester Basel hat ein neues Signet. […] Die noblen Majuskeln im Schriftzug des alten Logos sind konsequenter Kleinschreibung («sinfonieorchester basel») gewichen […]. Ein ungeschriebenes Gesetz verlangt heute, dass alles und jedes eine Marke ist, ein Label hat und sich schon sprachlich von der Konkurrenz abhebt. So schreibt sich das Kammerorchester Basel absurderweise «kammerorchesterbasel», und auch die «basel sinfonietta» huldigt der radikalen Kleinschreibung. Übrigens hat auch die Allgemeine Musikgesellschaft Basel ein neues, elegant geschwungenes Schrift-Logo in – erraten! – radikaler Kleinschreibung.
Die Absicht der slowakischen Regierung, Geldstrafen für Verstösse gegen sprachliches Fehlverhalten einzuführen (BaZ vom Mittwoch), ist bedenkenswert. […] Leicht durchzuführen wird diese Sprachzensur indes nicht sein, denn in der Sprache ist jedermann Expertin (wäre das jetzt schon strafbar?), und gute Sprache ist ähnlich schwer zu definieren wie gute Architektur. […] Zum andern ist die Rechtschreibung, wie man bei der Debatte um die neue deutsche Rechtschreibung erfahren hat, in stetem Fluss.
Wenn es noch eines Beweises für das grandiose Scheitern der deutschen Rechtschreibreform bedurft hätte, hier ist er: In Deutschland soll das scharfe S, das sogenannte Sz (ß), auch bei den Grossbuchstaben wieder eingeführt werden. […] All das braucht einen in der Schweiz eigentlich nicht zu interessieren: Hier ist das scharfe S schon seit Jahrzehnten praktisch abgeschafft. Und kein Mensch hat deshalb Verständnisschwierigkeiten, wenn er das Wort «Busse» oder «Masse» liest, weil der Kontext immer klarmacht, welche der jeweils zwei Bedeutungen gemeint ist – auch wenn konservative Sprachforscher uns einreden wollen, wir müssten permanent aneinander vorbei reden, wenn wir nicht zwischen «ss» nach kurzem und «ß» nach langem Vokal unterschieden.
Was haben wir einst gelacht über den Satz des unlängst verstorbenen Kabarettisten César Keiser: «Nai, Frolain, Sie verstöhn mi miss!» Dabei hat Keiser nur den Finger auf eine Stelle gelegt, an welcher die deutsche Sprache wirklich schwach, ja sogar ziemlich verletzlich ist: auf die Frage, wie man die zusammengesetzten Verben flektieren soll. […] Kein Mensch weiss das so genau, und die Rechtschreibreform hat da auch kein Quäntchen Klarheit gebracht.
Im gegenteil, man wusste ja nicht mehr, was ein wort ist. Aber man hat es eben auch vorher nicht gewusst.
Die führenden Sprachwissenschaftler sind gegen die neue Rechtschreibung, ebenso fast alle Schriftsteller. Es ist so, wie wenn die besten Herzchirurgen eine Empfehlung für eine betimmte Operation abgeben, und dann kommen die Assistenzärzte und sagen: «Wir machen es ganz anders».
Grobe beleidigungen als beispiel für sprachkultur?
Der Streit um die deutsche Rechtschreibung, der gegenwärtig je nach Weltgegend mehr tobt oder dümpelt, wird nicht mit lebensbedrohenden Waffen ausgefochten, sondern mit den unblutigen Waffen des Wortes. Das ist das Gute, das Friedliche und Zivile an diesem eigentümlichen Krieg, der durchaus feindliche Lager, Angriffslinien, Verteidigungsbastionen und Überläufer kennt.
Die vorab in den deutschen Feuilletons geführte Debatte trug über weite Strecken den Charakter einer Ersatzdebatte, die vor allem der Profilierung einiger Reformgegner und der Ablenkung von ihrem mittlerweile verwelkten Polit-Engagement diente. […] In vager Erinnerung an das Antikriegs-Engagement der sechziger und siebziger Jahre witterte mancher Geistesarbeiter die Chance, sich doch noch einmal in radikaler Systemkritik zu üben. […] Die Herren Reich-Ranicki, Walser, Enzensberger, Muschg etc. — allesamt Autoren in vorgerücktem Alter — haben mit Erfolg einen Reformprozess verweigert, an dem sie sich nicht aktiv beteiligt hatten, als die Dinge noch im Fluss waren. […] Ihr Erfolg beruht auf einer unheiligen Allianz von muffiger Reformfeindlichkeit und diffuser Staatsferne. Und er vermag nicht zu kaschieren, dass den meisten Intellektuellen deutscher Zunge zu brennenden Zeitfragen […] schlicht nichts mehr einfällt.
Deutsch, erfuhren wir schon im Sandkasten, ist nicht gleich Deutsch. […] Ein halbes Jahrtausend deutscher Hochsprache und die mit Ach und Krach über die Bühne gebrachte Rechtschreibreform haben nicht verhindert, dass Deutsche, Österreicher und Schweizer bisweilen per «Kannitverstan» miteinander kommunizieren.
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