Die Liberalisierung bei der Kommasetzung, eine leicht verderbliche Frucht der Rechtschreibreform, brachte zwar „etwas von dem alten rhetorisch-intonatorischen Prinzip“ (Peter von Polenz, Deutsche Sprachgeschichte) zurück, hat aber auch die Zügel so gelockert, dass manchen Schreibern die Pferde durchgehen.
Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
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Unterstöger, Hermann
In gewisser Weise ist „der Palatschinken“ ein entfernter Vetter des „Tol(l)patschs“, von dem die meisten erst bei der Rechtschreibreform erfuhren, dass er sich von ungarisch talpas (breitfüßig) herleitet.
Die Enthüllung, dass Hubert Aiwanger 90 000 „Wischmobs” bestellen ließ, zauberte unserem Leser B. dies Bild vor Augen: Aiwanger vor Millionen Randalierern, die synchron über ihre Smartphones wischen. Um seine Vision zu entschärfen, sei ihm versichert, dass die Redaktion normalerweise sehr wohl zwischen Mob (aufgewiegelte Menge), Mop (Wischgerät vor der Rechtschreibreform) und Mopp (Wischgerät danach) zu unterscheiden weiß.
Apropos Rechtschreibreform: Es war ein Riesenhallo, als der Duden das Adjektiv spinnefeind als Substantiv präsentierte, und zwar mit dem Zusatz: „nur in jdm. Spinnefeind sein.“ Der Spinnefeind ist schnell wieder verschwunden […].
Herr Dr. Sch. findet es schön, dass Helikopter bei uns in Heliko-pter getrennt wurde, also morphologisch, das heißt: der Wortstruktur entsprechend, statt silbisch, wie das seit der Rechtschreibreform mächtig in Schwang gekommen ist. Wir könnten jetzt so tun, als wüssten alle Redaktionsmitglieder, dass Helikopter aus hélix, -ikos (gewunden) und pterón (Flügel) zusammengesetzt ist. Dem ist nicht so. Wenn Helikopter trotzdem sinnvoll getrennt wurde, so hat da nicht etwa ein blindes Huhn ein Korn gefunden, sondern das hauseigene Trennungsprogramm segensreich gewaltet.
Aha, so funktioniert schreiben: Weder schreiber noch leser wissen bescheid, aber die technik gaukelt beiden vor, der andere wisse bescheid.
Ob Holz modellierbar ist, sei dahingestellt, aber dass eine Galionsfigur nicht „aus Lerche modelliert“ wird, weiß Dr. S. gewiss. Die Rechtschreibreform hat die Gemse zur Gämse modelliert, doch gilt dies nicht in der Umkehrung: Es ist, wie Shakespeare sagt, die Lärche und nicht die Lerche.
Dass Standardkomposita wie stacheldrahtbewehrt immer wieder auseinandergeschrieben werden, ist der Rechtschreibreform anzurechnen, obwohl deren § 36 (1.1) an der Zusammenschreibung keinen Zweifel aufkommen lässt.
Wählen Leser den Satzanfang „Oder habe ich . . .“, ist es vorher meist um die Rechtschreibreform gegangen. Auch bei Herrn G. war das so. „Oder habe ich“, fragte er, „nur die Rechtschreibreform nicht begriffen?“ Seine Zweifel rühren daher, dass die Reportage über Hardheim so angekündigt worden war: „Über einen Ort, der sich allein gelassen fühlt.“ Völlig richtig wendet er ein, dass Hardheim sich alleingelassen fühle. Schon im Duden von 1934 heißt es schön griffig, dass die Zusammenschreibung geboten sei, „wenn durch die Verbindung zweier Wörter ein neuer Begriff entsteht, den die bloße Nebeneinanderstellung nicht ausdrückt“. An dieser Regel hat sich nichts geändert.
Dann kam die Rechtschreibreform […]. Dieses Mal war es ja kein kurzer, aus dem Affekt geborener Schlagabtausch, nach dem man sich verträgt und zusammen ein Bier trinkt. Dieses Mal war es ein Kulturkampf, dessen Blessuren heute noch schmerzen […].
Gemessen an der lebensdauer einer ortografie, war es ein kurzer, aus dem affekt geborener schlagabtausch.
SZ-Redakteur Hermann Unterstöger besänftigt Leser. […] Zornig ist auch unser Leser K., weil in einer Polizeimeldung die Schittgablers-traße so getrennt wurde wie hier, also falsch. Herr K. vermutet dahinter eine Art Hörigkeit gegenüber der Orthografiereform, die das uralte st-Trennungsverbot aufgehoben hat.
[…] in unserem Feuilleton, wo zur Bewertung von Helmut Dietls neuem Film auch "Dietls Albtraum" herangezogen wurde. […] wurde der Albtraum an der prominentesten Stelle der Kritik, in der Überschrift, nicht als "Dietls Albtraum" präsentiert, sondern als "Dietl's Albtraum" […]. Unsere Leserin W.-G. hat sich über diesen "Deppen-Apostroph" sehr erbost, und wir können uns vor ihrem Zorn nicht einmal hinter der Rechtschreibreform verstecken. Die lässt den Apostroph vor dem Genitiv-s nämlich allenfalls dann zu, wenn damit eine Namensverwechslung vermieden wird (§ 97) […].
Ein scharfer Zwischenruf kommt von unserem Leser Sch., der den literarischen Namen Törleß in einem Bildtext als Törless geschrieben sah und dazu anmerkt, dass die Rechtschreibreform über Eigennamen denn doch keine Gewalt habe. Das ist richtig. Trotzdem müssen wir die Kritik zurückweisen, da in dem Text von Volker Schlöndorffs Film die Rede war, und dessen Titel lautete nun mal "Der junge Törless". Das Doppel-"s" war entweder eine Art Echo auf das Doppel-"f" in Schlöndorffs Namen, oder aber es sollte dem Film jene weite Welt eröffnen, die mit Robert Musils "ß" nichts anfangen kann.
Das „ß“, das technisch gesprochen kein Buchstabe, sondern eine Ligatur ist, kommt tief aus der Geschichte der deutschen Sprache und Schrift. Lässt man das schon als Würde gelten, so ist es nur angemessen, dass von der ganzen Rechtschreibreform grosso modo nichts geblieben ist als die Regel, dass nach kurzen Vokalen das auslautende „ß“ durch „ss“ (Kuß/Kuss) ersetzt wird - ein altehrwürdiger Kringel als Fokus eines die Nation gewaltig aufwühlenden Unterfangens. Der Bericht des die Folgen der Reform beobachtenden Rechtschreibrats wird in Kürze veröffentlicht, und es wäre höchst erstaunlich, wenn er in der Kausa „ß/ss“ keinen Erfolg meldete. Die Regelung wird allgemein akzeptiert, wenn auch ohne Begeisterung: bei den Freunden der Reform, weil sie sich ungleich mehr erhofft hatten, bei den Gegnern, weil sie die Kröte schlucken müssen, wollen sie anders kein Dacapo des Getöses.
"Vom festen niederbayerischen Boden aus" schreibt uns Frau K., dass die Todesstrafe für Karl-Theodor zu Guttenberg unangebracht sei. Anlass dafür war ein Passus in der SZ, wonach "die Union schlecht beraten wäre, den Minister hängen zu lassen". Gemeint war natürlich, dass ihn die Union wegen seines Agierens in der Opel-Sache nicht im Stich lassen oder gar aufgeben solle, das hängen lassen war also, wie man so sagt, im übertragenen Sinne gebraucht worden. Die Rechtschreibreform ist in dieser Sache so verblieben, dass Verbindungen aus zwei Verben getrennt geschrieben werden, dass sie jedoch, wenn bleiben und lassen mit von der Partie sind, bei übertragener Bedeutung auch zusammengeschrieben werden können. Der Duden empfiehlt die Getrenntschreibung. Dem schließt sich die Süddeutsche an, ohne deswegen gleich dem Herrn zu Guttenberg an den Kragen zu wollen.
Dazu kommt, dass «im stich lassen» keine übertragene bedeutung von «zum tod verurteilen» ist. Wenn schon, sind beides übertragene bedeutungen. Oder beides sind «wörtliche» bedeutungen. Wie «wörtlich» sind denn «im stich lassen» und «aufgeben»? Was will man da mit rechtschreibregeln differenzieren?
[…] lang hätte die deutsche Sprachgemeinschaft es nicht mehr getragen, nämlich das Gezappel und Gezerre um die Rechtschreibreform. […] Im Film sieht man oft Hochzeiten, bei denen der Pfarrer sagt, wer Hinderliches wisse, sage es gleich oder schweige für immer. So ein Ritual wünschte man sich auch für die Rechtschreibreform.
Aber wenn dann alle gezappel und gezerre der welt auf diese weise erledigt sind und alle schweigen, was machen dann die zeitungen und die leitartikler?
Die von Wulff angeregte Fronde gegen die neue Rechtschreibung ist vorderhand noch ein gutes Stück davon entfernt, vollzählig und schlagkräftig zu sein. Dass er nicht allein bleiben würde, war bei der allgemein reformskeptischen Stimmung abzusehen, und so hat er auch ein paar potente Kampfgefährten an sich ziehen können. […] Der frühere bayerische Kultusminister Hans Zehetmair, seinerzeit ein Befürworter der Reform, würde „aus heutiger Sicht und noch deutlicherer Kenntnis der deutschen Wesensart die Sache ganz zum Scheitern bringen“.
Die Rechtschreibreform, ja ja! […] Wie man mittlerweile weiß, hat die gute Absicht eine Missgeburt hervorgebracht, indem nur ein Teil der Neuerungen akzeptiert und richtig angewendet wird. Der andere Teil hingegen verursacht fortzeugend ständig neue Fehler Fehler, die es vorher überhaupt nicht gab und die man auch gerne in die Büchse der Pandora zurückstopfte, wenn man nur wüsste, wie. Saudumm, die ganze Sache, wirklich Sau dumm.
Das andere große Schmerzthema, die Rechtschreibreform, ist über all dem ein wenig in den Hintergrund gerückt, wird aber von den Reformgegnern mit dem von ihnen gewohnten Ernst weiterbehandelt. Die Lage stellt sich, kurz skizziert, so dar, dass die im Alltag geübte Doppelschreibung, die sich aus der Rückkehr der FAZ zur alten Orthographie ergeben hat, von den Mehrfachlesern nicht als nationale Spaltung empfunden wird. Beide Varianten werden zügig weggelesen; allenfalls und mit erheblichen Schmerzen stolpert man über Neubildungen, die dadurch entstehen, dass die ohnedies verbreitete Rechtschreibunsicherheit durch die Reform offenbar potenziert worden ist: Kern gesund und ähnliche Narreteien. Vielleicht schaffen es die Verantwortlichen ja schon 2002, aus prima und seconda prattica etwas gebrauchsfähiges Drittes zu destillieren.
Dennoch sei […] von einer Todesanzeige Kenntnis gegeben, die […] dem großen Mediziner Professor Dr. Karl Vossschulte galt. Das Ungewöhnlich daran war der Umstand, dass der Name sowohl beim Verstorbenen als auch bei drei Hinterbliebenen als Vossschulte geschrieben war, bei einem Trauernden hingegen als Voßschulte. Leicht könnten Gegner der Rechtschreibreform sagen, dass der orthographische Riss nun schon mitten durch die Familien gehe, und daraus neue Schlüsse auf das generell Fluchwürdige des ganzen Projekts ziehen. […] Eine spezielle Sorte von Bildtexten sind die, mit denen in den Boulevardblättern die mehr oder minder scharfen Pin-up-Fotos garniert werden. […] Schließlich der abgenagteste Kalauer, diesmal gefunden bei einem Bild von Tanja Szewczenko, einem Porträt wohlgemerkt, freilich mit einem Papagei auf Tanjas Kopf: Besonders ist Tanja gut zu Vögeln. Wie da der Biertisch lacht!
Das mit den vögeln wäre eigentlich nur ein witz, wenn wir die substantivkleinschreibung hätten.
Von der Rechtschreibreform sind Einige richtiggehend paralysiert worden, so dass sie ihren naturgegebenen Sprachsinn oft vorsichtshalber ausschalten, um ja nichts verkehrt zu machen. Drei besonders markante Beispiele: „Blut überströmt" fand die Abendzeitung jemanden auf dem Asphalt, einen „Bein amputierten Kranich" suchte laut dpa ganz Israel, und die evangelische Nachrichtenagentur idea befragte zum Desaster auf der „Kursk" den „See erfahrenen" Landesbischof Lohse. Der erwies sich bei dieser Gelegenheit als äußerst Bibel fest.
Vor der Reform schrieb man Kuß, nach ihr schreibt man Kuss, und dazwischen ist offenkundig viel Platz für Fehler. Das lehrt eine Studie des Erziehungswissenschaftlers Harald Marx (vormals Universität Bielefeld, jetzt Leipzig).
Der Durchschnittsverbraucher steht vor dem Problem, dass ihm bei einem neuen Regelwerk, das dem alten an Kompliziertheit nicht nachsteht, die Sinnhaftigkeit des gesamten Unternehmens verborgen bleibt. […] Ob die Rechtschreibreform ein Schuss in den Ofen war, ist noch umstritten. Bei der allenthalben herrschenden Unsicherheit sollten die Gremien das Jahr 2000 nutzen, um den Ruß wegzukehren.
Die Sache stellt sich mittlerweile so dar, als ob falsch gesetzte Apostrophe zu einem echten Volk’ssport würden.
Als kürzlich im Deutschen Theater Mozarts "Il Rè pastore" in der Staribacherschen Bearbeitung aufgeführt wurde, begannen einige Münchner Kritiker vor Begeisterung fast zu taumeln. Das kam daher, dass "Mozart groovt" und im Saal sogar "heftiges Zucchero-Feeling" aufkam (SZ). […] Die Rechtschreibreform hat ähnliche Wallungen ausgelöst wie Mozarts Groove, weswegen manche Kollegen vorsichtshalber gleich richtig falsch schreiben, ehe sie lange im Wörterbuch herumblättern. Ein paar Beispiele: […] "Bayer ertrank beim Kajak fahren" (AZ); "Nichts der Gleichen" (tz); die dpa schließlich erfand, wohl von einer Gämse gestoßen, die Vokabel "abwägig". Ein kurioser Fall ereignete sich eben jetzt hier in der SZ, indem es sich bei der Besprechung von Marcel Reich-Ranickis Buch als nötig erwies, den Namen des Autors zu trennen. Unser Rechtschreibprogramm hielt Ranicki für etwas Ähnliches wie Zucker und trennte folglich "Rani-cki". Da der Mann indessen weder Zucker ist noch so ausgesprochen wird, hätte man dem Programm mit einem Befehl zur Seite springen und den Namen in "Ranic-ki" trennen müssen.
Die Frühjahrstagung 2067 des in Mannheim ansässigen Instituts für deutsche Sprache fand eine Resonanz wie lange keine mehr. […] Das türkische "söz" für "Wort" begann sich damals gerade zum Lehnwort hochzuarbeiten. Ihm und vergleichbaren Vokabeln fiel das umso leichter, als ja, wie die Älteren unter uns vielleicht noch wissen, die Rechtschreibreform nach wie vor unerledigt beziehungsweise halbherzig realisiert durch die Gremien ging.
Mit der Rechtschreibreform ist er zwiefach verbunden. Einmal sitzt er in der Kommission, die das Unternehmen begleiten und bis 2003 ein Gutachten darüber erarbeiten soll, was vom Sprachvolk akzeptiert und was verweigert wird. Sodann wird gerade die GfdS vielfach mit Fragen und Klagen zu diesem Thema eingedeckt, weil die Leute sich mit gewissen Dingen partout nicht abfinden, mögen sie linguistisch-formal noch so gut zu begründen sein.
Daß die Sprache einem ständigen Fluß und damit Wandel unterliegt, bestreitet kein Mensch; weit weniger Einigkeit herrscht über die Details dieses Prozesses. Dabei wäre ein Konsens in der Sache heute wünschenswerter denn je, weil nicht wenige Leute die Sprache derzeit auf einer abschüssigen Bahn sehen, einer Rutschbahn, die mit Schmiermitteln wie Rechtschreibreform, Anglisierung und Computerschlamperei ausgelegt ist und stante pede in den Verfall führt. Bei der 35. Jahrestagung des Instituts für deutsche Sprache (IDS) ging es in Mannheim um eines dieser möglicherweise fatalen Elemente, nämlich um die Wechselwirkung zwischen Sprache und neuen Medien.
Zunächst das Vorglühen: Dabei muß die Initiative 25 000 Stimmen zusammenbringen, um die Angelegenheit überhaupt beim Innenministerium vorlegen zu können. Dort wird die Zulässigkeit geprüft, und wenn die Prüfung positiv ausfällt, ist die Sache gewissermaßen gezündet und kann in Fahrt kommen. In dieser Phase (sie ist auf vierzehn Tage begrenzt) muß sich ein Zehntel der Stimmberechtigten, etwa 880 000 Leute, in die bei den Gemeinden ausliegenden Listen eintragen. Danach geht das Verfahren an den Landtag, der entweder zustimmen, also die Verfassung ändern kann, oder der den Antrag ablehnen beziehungsweise einen alternativen Entwurf vorlegen kann. In dem Fall käme es zum Volksentscheid, bei dem die einfache Mehrheit den Ausschlag gibt.
[…] die Rechtschreibreform, die bis heute weder richtig leben noch anständig sterben kann […] Bei der Pressekonferenz zum neuen Vorstoß präsentierte sich die bayerische Filiale der Initiative "Wir gegen die Rechtschreibreform". Es handelt sich dabei um die Familie Lemitz aus Eching, die weniger mit den Menschenrechten operiert als vielmehr "aus dem Bauch heraus".
Die begründung der reformgegner ist wieder einmal verblüffend und wundervoll auf allgemein anerkannte grundsätze abgestützt. Die letzte konsequenz vermissen wir allerdings. Warum lautet der verfassungszusatz nicht folgendermassen? "Alles gilt als zentraler Bestandteil der Kultur und darf nicht zum Gegenstand von Veränderungen werden. Die Geschichte ist auf dem Stand von 1996 anzuhalten."
Das Bundesverfassungsgericht hat sich […] aus der engeren Materie der Orthographie herausgehalten. Völlig abstinent ist es dabei dennoch nicht geblieben […]. Es gebe zwar […] im Interesse einer funktionierenden Kommunikation das Erfordernis einer hochgradig einheitlichen Schreibung. Das bedinge aber keine Übereinstimmung bis ins letzte Detail, und schon gar nicht habe das Ausscheren eines einzelnen zur Folge, daß die Konvention aller Übrigen hinfällig sei – vorausgesetzt immer, die Kommunikation ”im gemeinsamen Sprachraum” ist weiterhin gesichert. Gemessen an der Wertschätzung, die Rechtschreibdinge hier genießen, haben die Richter sich weit aus dem Fenster gelehnt. Immerhin kann diese Stelle auch als kaum verkappter Aufruf zu mehr orthographischem Laisser-faire verstanden werden – Pessimisten würden sagen: zu mehr Wurstigkeit.
Das Gericht hatte die Creme der Experten geladen, wobei ein Großteil von ihnen auch beim Streit um die Rechtschreibreform seit Jahren an vorderster Front steht. In dieser Arena war ihnen das gewohnte Hauen und Stechen naturgemäß untersagt, so daß man sehen konnte, welch zierlicher Umgangsformen die Kämpen bei Bedarf fähig sind. […] Für die Kultusministerkonferenz trat deren Präsidentin Anke Brunn, die nordrhein-westfälische Wissenschafts- und Forschungsministerin, in den Ring. Sie verwies darauf, daß die Reform in einem offenen, demokratischen Verfahren auf den Weg gebracht worden sei. […] Christian Meier schien überhaupt für eine kleine Weile nicht ganz Herr seines ansonsten gerühmten Feinsinns zu sein. Wie sonst hätte es ihm unterlaufen können, die gegen Ende der Nazizeit angeleierte Rechtschreibreform, den ”Rustschen Erlaß” von 1944, mit der nunmehrigen Orthographiereform in Verbindung zu bringen. Frau Brunn sah sich zu einer Intervention genötigt, die ihr vom Senat denn auch nicht verwehrt wurde.
Als der Kritiker Friedrich Denk von den Bergen gestiegen war, um sich der Enttäuschten anzunehmen, gewärtigte mancher nur eine kulturpolitisch spannende Posse. Bald jedoch zeigte es sich, daß Denks Initiative für weitaus mehr gut war. Insbesondere war sie es dafür, der breiten Masse wieder bewußt zu machen, wieviel an Heimat ihr das dürre Orthographie-Gestrüpp bedeutet. Auch die Kultusminister dürften mit diesem Effekt kaum gerechnet haben, sonst hätten sie ihre Strategie damals vielleicht geändert. Es wäre nämlich durchaus denkbar gewesen, das Unternehmen als solches abzublasen, dessen brauchbare Hinterlassenschaft dem Volk aber peu à peu gewissermaßen unterzuschieben.
Güthert und Heller bauen ihre Arbeit auf einem Teilvergleich auf, wobei sie sich auf die Einträge unter dem Buchstaben ”H” sowohl bei Duden als auch bei Bertelsmann beschränken. Es handelt sich dabei also gewissermaßen um eine Probebohrung, wobei sich ein nicht uninteressanter Seitenstollen auftut: Ein Vergleich zwischen dem Duden von 1991 und dem Knaur von 1992 (auf Knaur basiert der neue Bertelsmann) bringt ebenfalls etliche Differenzen an den Tag, obwohl doch damals die Rechtschreibwelt angeblich noch schwer in Ordnung war. […] Die Studie kommt zu zwei Ergebnissen. Zum einen rät sie den Wörterbuch-Redaktionen, nicht zu sehr auf ihre lexikographische Freiheit zu pochen […]. Zum anderen behaupten Kerstin Güthert und Klaus Heller, daß keine Hochrechnung dieser Welt aus der von ihnen eruierten Datenmenge eine Masse von einigen tausend Fehlern zu machen vermag.
[…] mittlerweile 18 Gerichtsverfahren, die in den unteren Instanzen eine bescheidene (7:6) und in den Berufungsinstanzen eine deutliche (4:1) Mehrheit für die Reform brachten.
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