Die Rechtschreibreform. Der Krieg um sie geht jetzt ins 20. Jahr, weil es echten Kriegern immer schon egal war, ob sie verloren oder gewonnen hatten. So wird uns die FAZ in zehn Jahren an den Dreißigjährigen Krieg um die Rechtschreibung erinnern, wie es Heike Schmoll am 1. August 2018 zum 20. Jahrestag der Einführung dieser Reform tat.
Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
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Walther, Rudolf
An der Lyrikfront agiert Durs Grünbein mit Nachdruck. […] Bereits zur Jahrtausendwende, im Heiligen Krieg gegen die Rechtschreibreform, verdiente sich der Poet in Gottfried Benns viel zu großen Schuhen bleibende Meriten mit einer astreinen Mütterzeugung in Prosa. Bei seinem Lobgesang auf die Muttersprache stolperte er geradewegs in den Sumpf von Pathos und Kitsch: "Man vergreift sich nicht an der Mutter. Man spielt nicht mit dem Körper, der einen gezeugt hat."
Seit die Rechtschreibreform unter Dach und Fach ist, hat sich die Lage beruhigt. Einiges ist durch die Reform trotz des verbiesterten Widerstands einfacher, klarer und rationaler geworden. Auch heute noch haben routinierte Schreiber Zweifel, was richtig oder falsch, gut oder schlecht ist. Da hilft der Duden «Richtiges und gutes Deutsch» in den meisten Fällen - ausser bei der Getrennt- und Zusammenschreibung. Hier werden auf 15 (!) Seiten Spitzfindigkeiten und Wortklaubereien ausgebreitet.
Die FAZ dreht also bei auf den Kurs der Reform, aber sie wäre nicht die FAZ, wenn sie nicht einen Vorbehalt anmeldete. Im Zweifelsfall hält man sich an den - gegenüber dem "Duden" - zurückhaltenderen "Wahrig". Das mündet direkt in ein apartes Rückzugsfecht, denn "die Ausnahmen" betreffen fast nur die "Volksetymologie" - also den Aberglauben. Bis ans Ende der Zeiten will die FAZ die "Quäntchen" und "Tollpatsche" genau "numeriert" und geächtet wissen. Nach dem Krieg ist vor dem Krieg. Der wandert jetzt in die FAZ-Leserbriefspalten.
Wenn die KMK nun auch die Vorschläge des Rats billigt, wäre der Reformprozess zumindest offiziell an ein Ende gekommen - freilich unter Aufgabe vieler ehrgeiziger Reformziele auf radikale Vereinfachung der deutschen Schriftsprache. […] Inoffiziell wird der Streit aber wohl weitergehen. Theodor Ickler […] hat am Samstag in einem langen Artikel in der FAZ seinen Austritt aus dem Rat angekündigt. Das bedeutet, dass zumindest die verbissenen Reformgegner auch die Beschlüsse der KMK von dieser Woche nicht als letztes Wort nehmen werden.
Mit dem zwischenstaatlichen Abkommen zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibreform vom Juli 1996 sollten die irrwitzigsten Rechtschreibregelungen ("Auto fahren", aber "radfahren", "bankrott gehen") endlich bereinigt werden. Sie beruhen restlos auf fragwürdigen Analogieschlüssen, Geschmackurteilen und der Orientierung am sogenannten Sprachgebrauch. Seither tobt eine aufgeregte Reformdebatte mit stürmischen Attacken in den Feuilletons. Dabei ging es den Reformern um Kleinigkeiten und keineswegs um die grundsätzliche Änderungen von spezifisch deutschen Marotten wie der Großschreibung von Nomen.
Angesichts der pragmatischen Begründungen, mit denen der Duden die amtlichen Regelungen von 1996 umsetzt, fällt die vom FAZ-Redakteur Johann Georg Reißmüller begonnene und von seinen Kollegen Heike Schmoll und Hubert Spiegel fortgesetzte Kampagne gegen die Rechtschreibreform wie ein Kartenhaus in sich zusammen. An linguistischen Argumenten fehlte es ohnehin von Anfang an. […] Die Reformer traten mit dem Anspruch an, die Rechtschreibung zu vereinfachen. Dieser richtige Anspruch ist unzulänglich umgesetzt worden, aber das liegt weniger an den Reformern als am mangelnden Mut der Kultusministerkonferenz zu einer großen Lösung, die wenigstens die gemäßigte Kleinschreibung und die Streichung des ß enthalten müsste. Lehrer bestätigen, dass das Zusatzhäppchen Vernunft, das die Reformen erlauben, den Rechtschreibunterricht erleichtert hat — für die Kinder.
Wenn es um die Muttersprache geht, scheint der Absturz ins Irrationale unvermeidlich. […] Konservative Sprachpuristen, ein querulantischer Lehrer aus Bayern und ein paar Hochschullinguisten befeuern die Pseudodebatte in regelmäßigen Abständen mit an den Haaren herbeigezogenen Beispielen, die die Reform je nachdem als überflüssig oder gefährlich hinstellen. Sollte es, was die Ultras stets suggerieren, um Sein oder Nichtsein des Deutschen gehen, ob wir "grünlich blau" oder "grünlichblau" bzw. "Recht haben" oder "recht haben" schreiben? Den "meisten" (alt) wie den "Meisten" (demnächst) ist das egal, auch wenn einer der Rührigsten unter den Reformkritikern diese Neuerung in ganz alter Theologenmanier als Rückfall in den "vorsintflutlichen Zustand" (Theodor Ickler) beschwört.
Der Ruf der deutschen Konservativen zum nationalen Widerstand beförderte den Niedergang der Demokratie der Weimarer Republik. Der Aufruf der FAZ zum Widerstand gegen die Rechtschreibreform zeigt nur, wohin der Konservatismus inzwischen gekommen ist — auf den Hund.
Als das Sommertheater in diesem Jahr so schlecht anlief wie das Juliwetter nass war, entschloss sich die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» zur Tat und inszenierte ihr eigenes Theater unter dem Titel «Rückkehr zur alten Rechtschreibreform». Weil es dazu keinerlei vernünftige Gründe gibt und der Anlass stofflich zu wenig her gibt, zogen die Frankfurter die Sache als Fortsetzungsstück mit Kampagnencharakter auf. […] Zunächst schreibt die Reform weniger zwingend vor als früher […]. Die ganze konservative Polemik gegen das vermeintliche «Diktat von Bürokraten» geht ins Leere. Die Rechtschreibreform gewährt den Schreibenden «zusätzliche Freiheiten für eigene Entscheidungen» (Duden, Vorwort 21. Aufl.), ohne jenes Chaos anzurichten und jene Beliebigkeit zuzulassen, die die Kritiker — den Kulturverfall und den Untergang des Abendlandes beschwörend — als tödliche Gefahren an die Wand malen.
Die wirkliche Katastrophe in der neuen Pariser «BN» ist das Informations- und Suchsystem. […] Allein die französische Orthographie stellt jeden Informatiker vor irrwitzige Probleme.
Von der Darmstädter «Akademie für Sprache und Dichtung» bis zum Schriftstellerverband scharte man sich hinter einem bayerischen Gymnasiallehrer zusammen, der — vom Furor teutonicus besessen — zum Kreuzzug für das richtige Deutsch blies. Das richtige Deutsch ist jenes, das im wilhelminischen Geist um die Jahrhundertwende verordnet wurde. Ein Deutsch, das mit Monokel, weissen Handschuhen und gedrechseltem Schnauzbart daherkommt.
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