Roland Kaehlbrandt, Deutsch – eine Liebeserklärung, 2022
Wenn das Deutsche nur die Kleinschreibung pflegte – wie es immer wieder einmal befürwortet wird (auch Jakob Grimm vertrat diese Position) –, könnte man den folgenden Satz wohl kaum sinnverstehend lesen: Wenn fliegen hinter fliegen fliegen, fliegen fliegen fliegen hinterher. Stattdessen sieht das Deutsche die Großschreibung der Nomina vor. Es ist eine nützliche Besonderheit der deutschen Schriftsprache, denn schon erhellt sich der Sinn dieses zugegebenermaßen konstruierten Beispiels: Wenn Fliegen hinter Fliegen fliegen, fliegen Fliegen Fliegen hinterher. Durch die Großschreibung ist dem Leser klar: Das muss das Nomen sein. […] Wenn wir die Großschreibung lernen, dann lernen wir zugleich ein wichtiges Kapitel der Grammatik: die Unterscheidung der Wortarten. Wir lernen, dass die Satzstruktur Wortarten wie Verben oder Adjektive in Substantive umwandeln kann, die dann konsequent großgeschrieben werden. Wer das kann, hat zugleich einiges über Wortklassen und deren Umwandlung gelernt. Die Rechtschreibexpertin Irene Corvacho del Toro bringt es auf den Punkt: »Wenn ich richtig gut schreiben kann, dann habe ich die deutsche Grammatik verstanden.«
Und wie viele menschen können richtig gut schreiben? Wenn eine grammatische analyse eine voraussetzung auch für das sprechen wäre, hätte der mensch nie sprechen gelernt.