Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Eindeutige rechtslage
Zu F. K. Fromme, «Die Rechtschreibreform wird zu einer Verfassungsfrage», Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. 6. 1997
Der artikel «Die Rechtschreibreform wird zu einer Verfassungsfrage» von F. K. Fromme macht uns endlich klar, warum in Deutschland eine solche aufregung herrscht. Es ist nicht nur der «wesentlichkeitsgrundsatz» (dem nach meinem schweizerischen verständnis die annahme gegenübersteht, dass die verfassung die staatsaufgaben abschliessend aufzählt), sondern vor allem die gleichsetzung von staat und nation mit der sprachgemeinschaft gemäss staatsrechtler Kirchhof. Sie entspricht nicht der wirklichkeit in Europa (ausser in Island und einigermassen in Portugal) und ist auch als ziel höchst problematisch. Sie war sicher ein argument für die wiedervereinigung, aber wenn sie die begründung war, muss man sich wohl in Österreich und in der Schweiz auf einen neuen ruf «Heim ins reich!» gefasst machen.
Entgegen den nebulösen vorstellungen einiger juristen, die eben erst ein neues betätigungsfeld entdeckt haben, hält der 1924 gegründete schweizerische Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR) die rechtslage für eindeutig. Die rechtschreibreform hält sich an das geltende recht. Dieses besagt, dass z. b. das bayerische kultusministerium bestimmt, wie in der bayerischen grundschule geschrieben wird, die erziehungsdirektion des kantons Zürich, wie in der zürcher grundschule geschrieben wird, usw. Nicht mehr und nicht weniger. Ob das auch zweckmässig ist, ist freilich eine andere frage. Hier treffen sich bedenken von bewahrern und reformern, und mögliche auswege müssen durchaus nicht in gegensätzliche richtungen führen. Für konstruktive lösungsansätze wären wir dankbar; leider können wir aber im moment nur destruktive trotzreaktionen erkennen. Die idee, der bund könnte anders schreiben als die schule, ist eine solche. Natürlich kann er, und wenn der antrag Kleinert erfolg hat, widerlegt er auch gleich selbst sein wichtigstes argument von den übermässigen auswirkungen des kultusministerbeschlusses.
Für alle menschen, die nicht mehr der schulpflicht unterstehen (und auch für die anderen zwischen 17 uhr und 8 uhr), ist die neuregelung gewiss «juristisch ein Nullum» und deshalb unverbindlich. Aber wie ist es denn mit der bisherigen regelung? Verstosse ich gegen ein gesetz, wenn ich seit jahrzehnten «katastrofe» und «wes-te» schreibe? Nun, schon 1928 stellte das oberlandesgericht Köln fest: «Aus dem Grundsatz des § 184 G. V. G. 'die Gerichtssprache ist deutsch', folgt nicht, daß die in deutscher Sprache verfaßten Schriftsätze den jeweils geltenden Regeln der deutschen Rechtschreibung entsprechen müssen (…) Der Gebrauch der kleinen Anfangsbuchstaben beeinträchtigt nicht die Lesbarkeit und die Verständlichkeit der Klageschrift.» (Berliner Tageblatt) Bisher sind die gesetzgeber nicht auf die idee gekommen, mir eine bestimmte schreibweise vorzuschreiben. Nun sieht der deutsche bundestag plötzlich handlungsbedarf, denn «es gibt nur eine deutsche Sprache und keine Ländersprachen» Die (sehr moderate) materielle änderung ist nicht nur anlass, sondern gleich die begründung, um die rechtsgrundlage in frage zu stellen. Schafft eine materielle änderung neues recht? Gewiss, «für die Verfassung ist es nie zu spät», aber was einige leute vorhaben, ist eine rückwirkende gesetzgebung, die es in einem rechtsstaat nicht geben kann. Oder ist es eine — gerade bei juristen erstaunliche — unfähigkeit, materielle und rechtliche aspekte auseinanderzuhalten? Wenn die «Neuregelung von erheblicher Bedeutung für das Zusammenleben der Menschen» (Kleinert) ist, dann könnten doch auch die probleme mit der heutigen regelung — schon von Grimm und Duden formuliert — «von erheblicher bedeutung für das zusammenleben der menschen» sein. Leider haben die reformer bisher keine so schönen worte für die begründung ihrer anliegen gefunden, weshalb sie wohl der aufmerksamkeit der juristen und bundespolitiker entgangen sind. Die landes-/kantonspolitiker (kultusminister/erziehungsdirektoren) haben sich auch nicht darum gerissen, die rechtschreibung reformieren zu dürfen, nur ist eben der lehrplan der volksschule die einzige stelle, wo sich die norm rechtlich fassen lässt. Wir wären überglücklich, wenn wir nicht mehr 40 ansprechstellen hätten, sondern 4, was auch noch genug wäre.
Alle beteiligten sind anscheinend unglücklich, die einen schon lange, die anderen seit kurzem. Der BVR hat das aus den momentanen parlamentsdebatten ersichtliche allgemeine filosofieren und jammern über grundlagen und wirkungen der rechtschreibnorm hinter sich und erwartet, dass man entweder aus der geltenden rechtslage das beste macht (d. h. die neuregelung akzeptiert) oder konstruktive vorschläge für eine bessere rechtliche abstützung der norm samt demokratischem und transparentem verfahren für die weiterentwicklung bringt. «Stattdessen gefallen wir uns in angstszenarien. Kaum eine neue entdeckung, bei der nicht zuerst nach den risiken und gefahren, keineswegs aber nach den chancen gefragt wird. Solche debatten führen nicht mehr zu entscheidungen, sondern sie münden in rituale, die immer wieder nach dem gleichen muster ablaufen, nach einer art sieben-stufen-programm: 1. Am anfang steht ein vorschlag, der irgendeiner interessengruppe opfer abverlangen würde. 2. Die medien melden eine welle 'kollektiver empörung'. 3. Spätestens jetzt springen die politischen parteien auf das tema auf, die einen dafür, die anderen dagegen. 4. Die nächste fase produziert ein wirrwarr von alternativvorschlägen und aktionismen aller art, bis hin zu unterschriftensammlungen und zweifelhaften blitzumfragen. 5. Es folgt allgemeine unübersichtlichkeit, die bürger werden verunsichert. 6. Nunmehr erschallen von allen seiten appelle zur 'besonnenheit'. 7. Am ende steht meist die vertagung des problems. Der status quo setzt sich durch. Alle warten auf das nächste tema» (nach bundespräsident Herzog in der grundsatzrede vom 26. april).
Bund für vereinfachte rechtschreibung, Rolf Landolt, vorsitzer