Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Eisenbergs verschwommene vorstellungen
Zu Peter Eisenberg, «Unbegründete Neuschreibungen», Süddeutsche Zeitung, 13. 11. 1997
Nachweis unter presse und internet
Ich befasse mich beruflich nicht mit rechtschreibung, sondern mit edv und verstehe deshalb einiges nicht. Zum beispiel, wie man so jammern kann, wenn sich alle hundert jahre eine solche winzigkeit ändert und eine kurze übergangszeit entsteht. Oder dass ein wissenschafter so verschwommene vorstellungen von den aufgaben von sprache und schrift postuliert. Ich kann mir vorstellen, dass alles von allem abhängt, aber in allen lebensbereichen von der landwirtschaft bis zur religion muss man sich irgendwie organisieren, wenn man nicht gleich das leben auf der welt anhalten will. Die telekommunikation lehrt uns etwas, was für jede art von kommunikation gilt: Sie funktioniert synchron und diachron über weitere bereiche nur, wenn man sich streng an ein modell mit austauschbaren schichten (layers) hält. Solche sind in einer groben einteilung: sprache (ich weiss, dass es nicht ganz stimmt, aber ich gehe davon aus, dass ein gedanke in jeder sprache formuliert werden kann), schrift (deutsch ist immer noch deutsch und russisch ist immer noch russisch, wenn es in lateinischer, kyrillischer, singalesischer schrift, in fraktur, steno, braille wiedergegeben wird) und schreibung (irisch ist nach der einschneidenden reform von 1948 immer noch irisch, deutsch ist auch ohne ß und ohne lang-s deutsch, ich schreibe auch ohne substantivgrossschreibung deutsch). Dass das nicht ein gedankengebäude, sondern realität ist, wird einerseits durch die tatsache bewiesen, dass sich sprache und schreibung auseinanderentwickeln können, und anderseits durch die erkenntnis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung: "Die Forderung nach völlig lückenloser Uniformität der Schreibung ist keineswegs zwingend; im Bereich der schönen, auch der wissenschaftlichen Literatur erheben sich sogar sehr ernsthafte Einwände gegen eine orthographische Einheitstyrannei. Es trifft nämlich nicht zu, daß eine gewisse Läßlichkeit der Rechtschreibung ein Chaos zur Folge haben würde."
Das erinnert daran, dass man die realität nicht aus den augen verlieren sollte. Die pluralbildung "das Feld/die Felde" dürfte auch bei sprachlich weniger begabten eher selten vorkommen, wogegen die von Eisenberg damit gleichgesetzte regelung "eislaufen/Auto fahren" für den normalen schriftbenützer (einschliesslich vieler schriftsteller) alles andere als ein "unveräußerlicher Bestandteil der Sprache" ist. Es handelt sich eben um zwei verschiedene "layers"!
Schon die erfindung der schrift hat die sprache beeinflusst; bei Platon findet man entsprechende vorbehalte und die mahnung, neben dem nutzen auch den schaden im auge zu behalten. Wie man damals zu beidem ja sagte — es gab wohl noch keine einstweilige verfügung —, sollte man auch heute mit offenem geist und ohne tabuzonen an die sache herangehen.
Die buchstabenschrift wurde nicht erfunden, um ein "unveräußerlicher Bestandteil der Sprache selbst" zu werden, sondern um ihre spezifische aufgabe zu erfüllen (wozu z. b. die etymologie nicht gehört; weder die alte noch die neue schreibung erhebt diesen anspruch) — und eine buchstabenschrift zu bleiben. Sie ist auch ein kultureller wert, den zu erhalten sich lohnt. Ob das "ohne größere Eingriffe" geht, ist schwer zu sagen. Solche hat es ja laut Eisenberg "über Jahrhunderte" nicht gegeben. Aber was war denn das von 1901? Und die abschaffung der fraktur? Ein "externer Eingriff" aus der sicht der schrift sind jedenfalls die allgemeine schulpflicht und die damit verbundene festlegung einer schreibvariante. Es ist eine logische, auf jedem anderen gebiet selbstverständliche forderung, dass derselbe staat seine retardierende wirkung durch einen die entwicklung sichernden mechanismus ausgleicht. Und bei einem ordentlichen politischen verfahren ist es klar, dass verfahrensfragen und inhalte eben nicht zusammengehören.
Der vor 73 jahren gegründete Bund für vereinfachte rechtschreibung — eine verkörperung der gern bemühten, aber ebenso gern ignorierten nichtstaatlichen rechtschreibentwicklung — ist sehr für eine überarbeitung des regelwerks. In einem weiteren schritt! Die 21. auflage des dudens ist unvollkommen wie alles menschenwerk und erfüllt unsere wünsche nicht, aber sie ist vergangenheit. Blicken wir in die zukunft und machen wir es das nächste mal besser!
Bund für vereinfachte rechtschreibung, Rolf Landolt, Zürich (vorsitzer)