Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Zur frankfurter erklärung
Der Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR), Zürich, gegründet 1924, ist befremdet über die «frankfurter erklärung» deutscher schriftsteller zur rechtschreibreform.
Er sieht zwar in der reform nicht die erfüllung seiner wünsche, aber einen prüfstein für die frage, ob sich die deutsche rechtschreibung überhaupt verbessern lässt. Der BVR bittet die schulbehörden, verlage und übrigen schriftanwender, sich nicht durch den destruktiven aufruf vom eingeschlagenen weg abbringen zu lassen.
Schon immer hat ein teil der schriftsteller jede veränderung blockiert. Im gegensatz zu ihnen, die selbst wie es auch diesmal zum ausdruck kommt jede freiheit für sich beanspruchen, haben politik und wissenschaft verantwortungsbewusst festzulegen, was in der volksschule gelehrt werden soll.
Der Bund für vereinfachte rechtschreibung sträubt sich nicht gegen berechtigte interessen eines standes, vermag aber nicht zu erkennen, wo die der schriftsteller und verlage tangiert werden. Insbesondere bestreitet er die stereotyp gegen jeden reformversuch von der abschaffung der fraktur bis zur heutigen minireform vorgebrachte vermutung, die rechtschreibung sei dann schlechter lesbar und nicht mehr «deutsch». Er sieht darin einen ausdruck einer rückwärtsgewandtheit und eines effekthaschenden kulturpessimismus. (Zu dem damit verbundenen argument, es werde zu wenig gelesen, liefern allerdings die schriftsteller mit der eingestandenen verspätung der wahrnehmung selber einen traurigen beleg.)
Zu einer rationalen erklärung des irrationalen protests («Terror durch Orthographie») gehört sicher die diagnose einer diskrepanz zwischen faktischer verbindlichkeit der norm und ihrer schwachen rechtlichen verankerung in einem nationalen und sogar föderalen volksschullehrplan. Siegfried Lenz artikuliert das unbehagen mit der unbeholfenen forderung nach einem volksentscheid. Hier müssten lösungen gesucht werden, die aus neuen rechtlichen modellen bestehen könnten und/oder die wirkung der norm beeinflussen.
Der zweite ansatz ist anscheinend bereits auf dem weg zur verwirklichung: Die boykottkampagne und die zögerliche umsetzung der reform in den medien fördern in der öffentlichkeit das bewusstsein der freiheit in ortografischen dingen. Martin Walser: «Soll doch jeder, auf eigenes Risiko, schreiben, wie er will. Er will verstanden werden, soll er's versuchen auf seine Art.»
Der BVR empfiehlt die art der substantivkleinschreibung, die in allen sprachen üblich und nachgewiesenermassen verständlich ist. «Die Forderung nach völlig lückenloser Uniformität der Schreibung ist keineswegs zwingend; im Bereich der schönen, auch der wissenschaftlichen Literatur erheben sich sogar sehr ernsthafte Einwände gegen eine orthographische Einheitstyrannei.» (Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, 1963)
Der Bund für vereinfachte rechtschreibung ist überzeugt, dass sich eine bessere rechtschreibung durchsetzen lässt. Auch wenn das ziel noch nicht erreicht ist, nehmen sich die reformer doch Hans Magnus Enzensbergers «anweisung an sisiphos» (1957) zu herzen: «was du tust, ist aussichtslos. gut: / du hast es begriffen, gib es zu, / aber finde dich nicht damit ab, / mann mit dem stein.»
Rolf Landolt