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Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)

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Der Bund für vereinfachte rechtschreibung nimmt stellung

Kein angriff auf die deutsche sprache

Zu Otto Hiller von Gaertringen, «Der nächste Angriff auf die deutsche Sprache», preussische-allgemeine.de, 24. 10. 2018

Am 30. 10. 2018 als leserkommentar auf preussische-allgemeine.de veröffentlicht.

In sachen genderstern kann man geteilter meinung sein (ich verwende ihn nicht), aber muss man hinter allem, was einem nicht passt, finstere ideologien sehen? Ganz entschieden wehren wir uns gegen die verunglimpfung der rechtschreibreformer im allgemeinen und der von 1996 im besonderen. Sie sind nun an allem übel dieser welt schuld. Wir trösten uns damit, dass es nichts neues unter der sonne gibt. Mark Twain spottete 1906 über gegner von reformbestrebungen: “Simplified spelling brought about sunspots, the San Francisco earthquake, and the recent business depression, which we never would have had if spelling had been left all alone.” Er stellte sich vor, dass es bestimmt auch bei den alten ägyptern leute gab, die erklären, warum es absolut notwendig ist, bei hieroglyfen als der einzig richtigen form des schreibens zu bleiben und nicht ein alfabet zu entwickeln.

Dazu passt, dass der autor in der 2. ortografischen konferenz von 1901 «erste reformansätze» sieht. Was ist mit den vielen früheren bestrebungen? Wie wäre es mit einem blick auf die 1. ortografische konferenz von 1876 und die im hinblick darauf von Konrad Duden verfasste «Zukunfts­orthographie»? Auch das waren alles andere als die ersten reformansätze, aber es waren direkte vorläufer der neuregelung von 1996. Angesichts der übereinstimmung muss man auch nicht maliziös «nicht unähnliche» (in wirklichkeit viel weniger ähnliche) bestrebungen im Dritten reich heranziehen.

Wenn es die trennung «schi-ckte» gäbe, la-chten sogar die hühner. Wie auch immer: Rechtschreibung ist konvention. «Es gibt keine grammatisch korrekte oder inkorrekte Orthographie», sagt der sprachwissenschafter Rainer Wimmer. Konvention ist beispielsweise, die vokaldehnung mit h und ie zu bezeichnen – auch dort, wo es etymologisch «falsch» ist, wie bei «spielen» und «Bahn». Für sprachsensible kritiker ist das nicht gut (Konrad Duden plädierte für «Ban»), aber dann haben es halt alle so geschrieben. Und nun verwenden, wie der autor feststellt, «auch durchaus sprachsensible Kritiker» die neue rechtschreibung. Es ist in der tat erstaunlich, dass bücher der gegner (z. b. von Josef Kraus) in neuer rechtschreibung erscheinen. Es ist erfreulich – aber aus der sicht des reformers irgendwie auch unerfreulich. Es erklärt nämlich, warum viele deutsche (nicht die schweizer, die auf eine längere erfahrung mit freiheit zurückblicken) so sehr an der rechtschreibreform leiden. In ihrer obrigkeitshörigkeit und in ihrem soldatischen drang nach einheitlichkeit leiten sie (selbst hundertjährige schriftsteller) einen zwang für sich selbst ab. Das ist so falsch wie die mär von der «staatlichen Usurpation der Schreibung». Die schulbehörden legen fest, was die schüler zu lernen haben! Das tun sie, seit es die schulpflicht gibt. Seither hat sich rechtlich nichts geändert. Es sind schlicht fake news, dass 1996 «die Orthographie … in die Verfügungsgewalt des Staates überführt worden» sei. (Tipp für sprachsensible: «übergeführt».) Dabei ist es so einfach: “To ensure continuity, only small changes are usually made, and while schoolchildren learn some new, improved spellings, most adults continue to write as before. It may therefore take a lifetime before everyone uses the new forms.” So die englische Spelling Society 1992, und auch der Deutschschweizerische Sprachverein sieht es 1920 pragmatisch: «Jedem Erwachsenen, der sich die Rechtschreibung angeeignet hat, mutet eine Neuerung auf diesem Gebiet Opfer zu. Je älter er ist, desto schwerer wird ihm das. Es sind aber Opfer, die wir unsern Kleinen, den Kindern und Enkeln bringen. In der Uebergangszeit, zehn oder zwanzig Jahre lang, wird man jedem von uns noch gestatten, bei der alten Uebung zu bleiben. Fürs Lesen aber werden wir uns sehr bald, in wenigen Jahren, vollständig an die neuen Wortbilder gewöhnen.»

Rolf Landolt