Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
BVR-vorschlag von 1946
- autoren
-
Cornioley, Hans
- titel
- Die erneuerung der deutschen rechtschreibung.
- untertitel
- Vorschlag des „bundes für vereinfachte rechtschreibung“.
- weitere bezeichnung
- grosses ziel des BVR
- datum
- 1946
- umschlag
Vorbemerkungen
Der vorliegende reformplan des «bundes für vereinfachte rechtschreibung» beruht in der hauptsache auf der zusammenarbeit von Hans Cornioley, Bern, und dr. Erwin Haller, Aarau. Er wurde bereits im jahr 1938 vom gesamtvorstande des b.v.r. durchberaten und gutgeheissen; aber der kriegsausbruch im folgenden jahre verhinderte die veröffentlichung. Nachdem während des krieges noch die letzte hand daran gelegt worden ist, hält der vorstand es für richtig, heute mit demselben vor die öffentlichkeit zu treten. Denn wir sind der ansicht, dass die Schweiz alle kulturfragen wieder aufgreifen solle, die während des krieges vor den notwendigkeiten des augenblicks zurücktreten mussten.
So sei der reformplan der öffentlichen diskussion anheimgegeben! Möge sie recht lebhaft werden, doch nie den boden der sachlichkeit verlassen!
I. Kleinschreibung und großschreibung:
Alle wortarten sind grundsätzlich klein zu schreiben. Grosse buchstaben werden nur verwendet:
zur bezeichnung des satzanfanges und
zur hervorhebung der eigennamen (vornamen, familiennamen, geografische, strassen- und quartiernamen); ferner von titeln, bestehend aus einem, zwei oder drei wörtern, wie Schweizerische Lehrerzeitung; doch ist auch zulässig «schweizerische lehrerzeitung». Titel, die aus mehr als drei wörtern bestehen, sowie zitate sind klein zu schreiben, sollen jedoch im satz in anführungszeichen gesetzt werden; dabei kann das erste wort gross geschrieben werden, z. b. «Die letzten tage von Pompeji». Einzelstehende wörter (marginalien, stichwörter u.s.f.) werden klein geschrieben. Die grossschreibung der höflichkeitsformen wird beibehalten bei den formen der 3. person (Sie, Ihnen, Ihr haus), nicht aber bei der 2. person (du, ihr, euch), weil bei diesen keine verwechslung möglich ist.
Es zeigte sich dabei, dass auch im kleinsten verband die meinungen sehr geteilt sein können. Der entwurf von dr. Haller und Cornioley erfuhr mehrfache abänderungen und abschwächungen. Ganz besonders war es die dehnungsfrage, die immer erneut zu meinungsverschiedenheiten anlass gab.
Jahresbericht 1938 des BVR
II. Selbstlaute (vokale):
1. In offener, betonter Silbe ist der selbstlaut lang und wird geschrieben: a, e, i, o, u, ä, ö, ü, — ohne dehnungszeichen (sagen, faren, leben, ligen, loben, fuder, träne, könig, lüge).
2. In geschlossener, betonter silbe ist der selbstlaut je nachdem lang oder kurz;
a) wenn lang, so wird er geschrieben: a, e, i, o, u, ä, ö, ü; wo unterscheidungsschreibungen nötig sind, mit dem längezeichen ^ (nur nach wörterbuch), also: du sagst, du färst, legst, gibst, lobst, tust, tönst, lügst; tal, ton, tor, tif, braf;
b) wenn kurz, so wird geschrieben: a, e, i, o, u, ä, ö, ü, plus 2 oder mehr mitlaute (konsonanten), d. h. ein mitlaut verdoppelt oder mindestens 2 verschiedene mitlaute (treffen, klimmen, kommen, mutter, löffel, küssen, triffst, klimmst, erschafft, trifft, u.s.f.
Fälle, wo der selbstlaut in betonter, geschlossener silbe mit nur einem mitlaut kurz gesprochen wird:
a) in einsilbigen wörtern und zusammenziehungen, formen des tatworts, vorwörtern, umstandswörtern: hat, bin, mit, ob, um, zum, am, an, in, im, zur, weg (der wêg), u.s.f.
b) vor ch, sch, x, in offener und geschlossener Silbe: lachen, rechnen, ich, loch; wisch, asche, esche; hexe, Max.
3. Als einheitliches längezeichen wird das dächlein ^, handschriftlich der strich über dem vokal eingeführt; somit verschwinden e und h als dehnungszeichen. Das ^ soll jedoch nur, wenn wirklich nötig, verwendet werden.
Wir schreiben also, wie jetzt schon «du und zu», so auch: kni, fi (Vieh), ni, se, te, schne, stro, gescha, schu u.s.f.
Das ^ dient auch zur verdeutlichung, wo im satzzusammenhang die betonung und die quantität des selbstlautes wechseln, was oft mit einem bedeutungswechsel verbunden ist: Dâzu bin ich bereit; er gab mir noch etwas dazû. So komm doch, aber: Sô macht man's. Der mann; aber: Dêr mann hat recht.
Bei den zwielauten ei, eu, äu und au braucht es kein längezeichen mehr, da sie ohnehin lang sind.
III. Mitlaute (konsonanten)
Wie in II 2b angeführt, dient die verdoppelung der mitlaute zur bezeichnung der selbstlautkürze. Nicht verdoppelt werden, wie im jetzigen schreibgebrauch, ch, sch, und x (= ks).
Nicht verdoppelt wird auch z (= ts). Also sizen, der saz, poz, schmuz. Dafür erhalten die verschwindend wenigen wörter mit langem selbstlaut vor z das längezeichen: brêzel, mîzekaze u.s.f.
ck wird ersetzt durch kk.
IV. Ueberflüssige buchstaben fallen weg:
Dies betrifft bei den selbstlauten ai, weil dieses keinen besondern lautwert ausdrückt. Also: keiser, leich, die weise (eigennamen nach besonderer regelung)1).
ph = überall f.
v in deutschen wörtern immer = f.
In fremdwörtern je nachdem f oder w; also: wiola, wision, wisite, wisum, wolontär (das wörterbuch entscheidet). v bleibt noch erhalten in zu wenig eingedeutschten fremdwörtern, wie etwa voile, commis voyageur, vol-au-vent (das wörterbuch entscheidet); ferner in eigennamen: Verena, Viktor, Venedig.
Es fallen alle h nach t weg. Also: tron, teater, apoteke, bibliotek; ebenso h nach r: rabarber, reumatismus.
dt = t oder tt. Also: ferwant, gesant, di statt, di stäte. In personennamen bleibt dt.
s:
Zur regelung der s-frage genügen in der antiqua s für den stimmhaften oder schwachartikulierten laut und ss für den scharfen laut zwischen selbstlauten und nach langem selbstlaut. In diesem falle wird das längezeichen verwendet: rose, rasen, geisel, aus; aber: ausser, geissel, besser, hassen; nass, rûss, grôss, er âss, flîssen. Aber: mâss, mässig; grûss, grüssen; grôss, grösser. In fraktur ist das alte scharf-s beizubehalten, doch soll es nur nach langem selbstlaut verwendet werden.
st und sp wie bisher, also am anfang der wörter und silben scht und schp gesprochen, dies solange kein eigenes zeichen für sch eingeführt ist.
V. Lautliche angleichung:
ch im anlaut vor r und l = k: krist, klor; ferner bei kor, koral, karakter (nach Siebs).
chs = x: dax, fux, wûx, der lax, aber der lakk, des lakks, des lochs 2).
qu = kw: kwelle, kwal, kwirlen.
tion = zio: nazion, stazion, porzion, razion, razionell.
y = i oder ü (festsetzung des lautwertes im wörterbuch).
Fremdwörter werden teilweise oder ganz der deutschen schreibung angeglichen, je nach dem grade ihrer eindeutschung: schoför (nach wörterbuch).
VI. Silbentrennung:
Man trenne nach sprach- oder sprechsilben, aber nie sinnlos: mo-nar-chie oder mon-ar-chie, fa-ter-land oder fat-er-land (nicht aber: faterl-and).
VII. Satzzeichen:
Kommt später noch zur behandlung.
III. Neue buchstaben:
Der vorliegende reformplan sieht vorläufig von der schaffung neuer zeichen für sch und ch ab, so wünschenswert solche wären. Hingegen soll die frage dennoch in unsern «mitteilungen» abgeklärt und wenn möglich einer lösung zugeführt werden.
1) Anmerkung: Ein vorstandsmitglied befürwortet die beibehaltung des ai bei gleichlautenden wörtern zur unterscheidung (weise und waise).
2) Anmerkung: Ein vorstandsmitglied befürwortet die ersetzung des chs durch ks (statt x), wie es die deutschen reformen meistens fordern, also: daks, fuks, laks, wûks.
Textproben:
Goethe: „Hermann und Dorotea“
Hab ich den markt und die strâssen doch ni so einsam geseen! Ist doch di statt wi gekert! wi ausgestorben! Nicht fünfzig, deucht mir, bliben zurükk fon allen unsern bewonern. Was di neugir nicht tut! So rennt und läuft nun ein jeder, um den traurigen zug der armen fertribnen zu seen. Bis zum dammweg, welchen si zi’n, ist’s immer ein stündchen, und da läuft man hinab im heissen staube des mittags! Möcht ich mich doch nicht rüren fom plaz, um zu seen das elend guter, fliender menschen, di nun, mit geretteter habe, leider, das überreinische land, das schöne, ferlassend, zu uns herüber kommen und durch den glükklichen winkel dises fruchtbaren tals und seiner krümmungen wandern. Trefflich hast du gehandelt, o frau, dass du milde den son fort schikktest mit altem linnen und etwas essen und trinken, um es den armen zu spenden; denn geben ist sache des reichen. Was der junge doch färt! und wi er bändigt di hengste! Ser gut nimmt das kütschchen sich aus, das neue, bekwemlich sässen fire darin und auf dem bokke der kutscher. Dismal fur er allein; wi rollt es leicht um di ekke! So sprach, unter dem tore des hauses sitzend am markte, wolbehaglich, zur frau der wirt zum Goldenen Löwen.
Jeremias Gotthelf
Hansli Jowäger war ein brafer mann, und Annebäbi, sein weib, meinte es auch gut, aber uf sy gattig. Hansli Jowäger hatte noch spekkseitenkutten, gilet, wo die säkke dekkel hatten, und wenn er nicht spizhosen trug, so waren seine hosen doch aufgeschlizt bis zum kni, und selten war der schliz zugeknöpft. Sein hut hatte keinen hoen gupf; desto breiter war der schirm, und wenn er an einem stokk z'märit ging, so stellte er gerne das kinn auf selbigen ab, wärend er um eine ku märtete. Sein weib Annebäbi plagte în auch nicht mit hoffart. Irer grossmutter hochzeitkittel sparte si der nachkommenschaft auf. Si hatte noch schue mit wärschaften böden, aber weit ausgeschnitten, dass si mit den zeen kaum anhängen konnte, und für ärgäuer fürtücher hatte si noch keinen kreuzer ausgegeben.
Nachwort
Als 1924 der «bund für vereinfachte rechtschreibung» gegründet wurde, entschloss man sich, vorläufig als kleines ziel die kleinschreibung in den vordergrund zu stellen und die propaganda darauf zu beschränken. Doch wurde schon damals eine umfassende reform der rechtschreibung in aussicht genommen, welche, als wichtigstes neben der kleinschreibung, die dehnungsfrage und ausserdem eine ganze reihe anderer punkte einbeziehen sollte. Mit der ausarbeitung liess man sich zeit, verfolgte aber alle vorschläge, die von anderer, meist reichsdeutscher seite kamen, genau. In den «mitteilungen» des b.v.r. wurden die verschiedenen reformpläne jeweils kurz zusammengefasst und charakterisiert.
Der vorstand des b.v.r. hat von anfang an eine mittlere linie verfolgt, ausgehend von der überlegung, dass das schriftbild keine allzu grosse veränderung erfahren darf, wenn eine reform praktischen erfolg haben soll. So geht auch der vorliegende plan lange nicht so weit wie seinerzeit die forderungen der leipziger lehrer oder der vorschlag dr. Kaufmann/Kirchner, welcher die dehnungsfrage durch einführung neuer vokalzeichen lösen wollte, so dass für lange und kurze vokale verschiedene schriftzeichen verwendet würden. — Anderseits geht unser plan bedeutend über die forderungen der buchdrucker hinaus, welche z. b. die wichtige dehnungsfrage überhaupt nicht anzupacken wagten.
Schon Konrad Duden war der überzeugung, dass die überflüssigen dehnungszeichen einmal verschwinden würden. Er dachte es sich wohl so, dass im einzelnen fall einfach das dehnungszeichen weggelassen würde.