Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
autoren
Kurze Zusammenfassung des Kompromißvorschlags zur Neuregelung der Orthographie
1. Was übernommen wird
Der Kompromißvorschlag der Akademie läßt besonders sichtbare Merkmale der Neuregelung bestehen, soweit sie sprachlich verantwortbar sind. Dazu gehören:
- die Ersetzung des ß nach Kurvokalbuchstabe durch ss wie in dass, Fluss. Diese Ersetzung ist der bei weitem häufigste und sichtbarste, für viele der einzig wichtige Zug der Neuregelung.
- einige Fälle von vermehrter Großschreibung, insbesondere die Großschreibung von Zeitangaben nach Adverbien wie in heute Nacht, gestern Nachmittag. Die in alter Orthographie vorgesehene Kleinschreibung (heute nacht) konnte gerechtfertigt werden, war aber nicht zwingend.
- einige Züge der Fremdwortschreibung, z.B. die Möglichkeit, sowohl potenziell als auch potentiell zu schreiben, in alter Orthographie nur potentiell. Beide Schreibungen sollten zugelassen werden, weil ein Bezug auf Potenz wie auf potent möglich ist.
- einige Änderungen von Einzelwortschreibungen, z.B. rau, raues ohne h analog zu blau, blaues oder Känguru ohne h analog zu Marabu, Kakadu.
2. Was nicht übernommen werden kann
In allen Bereichen der Orthographie enthält die Neureglung Vorschriften, die willkürlich sind, die der Struktur wie der Entwicklung des Deutschen zuwiderlaufen oder dem Sprachwissen kompetenter Sprachteilhaber widersprechen. Diese Vorschriften sind auch nicht empirisch fundiert, d.h. sie entsprechen nicht dem allgemeinen Schreibgebrauch, sondern wurden am grünen Tisch erdacht. Sie sind der wichtigste Grund dafür, daß die Neuregelung keine hinreichende Akzeptanz gefunden hat. Dazu gehören:
- in der Groß- und Kleinschreibung der Zwang zu vermehrter Großschreibung in Fällen wie im Allgemeinen, im Wesentlichen und Großschreibungen wie des Öfteren, weiter bei frei erfundenen komplexen Fremdwörtern wie Highsociety oder Bigbusiness (die es als Wörter weder im Englischen noch im Deutschen gibt) sowie Großschreibungen des Typs Verschiedenes, Einzelnes, wo umgkehrt Kleinschreibung bei das wenige und der eine gelten soll. Nicht akzeptabel ist auch die Vorschrift, daß Anredepronomina wie Du und Euer kleingeschrieben werden müssen.
- in der Getrennt- und Zusammenschreibung das Zerreißen ganzer Klassen von Wörtern, insbesondere der Typen schwerfallen, fernhalten, übrigbleiben, fertigmachen, anheimfallen. Sie sollen sämtlich getrennt geschrieben werden. Ebenso soll aus dem Verb maßhalten die Form Maß halten werden, ähnlich bei kopfstehen, brustschwimmen und vielen anderen. Auch Verben wie kennenlernen, spazierengehen, sitzenbleiben werden in zwei Wörter zerrissen. Umgekehrt soll nur noch irgendetwas in einem Wort möglich sein, obwohl es auch irgend so etwas gibt. Die Getrennt- und Zusammenschreibung ist als der mißlungenste Teil der Neuregelung anzusehen.
- bei den Einzelwortschreibungen ist beispielsweise der Fehler gemacht worden, daß etymologisch korrekte Schreibungen wie belemmert (nicht von Lamm) oder Tolpatsch (nicht von toll) verboten wurden zugunsten von belämmert und Tollpatsch. Damit bringt man unnötigerweise gerade diejenigen gegen sich auf, die etwas von der Sprache wissen. Dasselbe gilt für Fremdschreibungen wie nummerieren oder Tipp. Nummerieren gehört als Fremdwort klar zu numerisch, numeral usw. und nicht zu Nummer, während Tipp regelwidrig ist und so geschrieben werden muß (und früher wurde) wie Set, Flop, Shop usw. Solche Fälle sind vielleicht nicht von weitreichender Bedeutung, sie zeigen aber, mit welcher Borniertheit die Neuregeler vorgegangen sind.
Einige Elemente des Kompromißvorschlags der Akademie sind bei den Änderungen, die die Kommission für deutsche Rechtschreibung im Frühjahr 2004 beschlossen hat, berücksichtigt worden. Beispielsweise darf man wieder ratsuchend und nicht nur Rat suchend schreiben. Die übernommenen Änderungen sind jedoch unzureichend, willkürlich und nicht geeignet, den Rechtschreibfrieden wieder herzustellen. Sie sind darüber hinaus auf unzureichende Weise in das vorher schon kaum lesbare Regelwerk eingearbeitet worden. Es ist aus Sicht der Akademie unerläßlich, die betroffenen Teile des Regelwerks neu zu formulieren und damit überhaupt allgemein zugänglich zu machen.
3. Die Konsequenzen bei Verwirklichung des Kompromißvorschlages
Der Kompromißvorschlag der Akademie ist so angelegt, daß nach der Neuregelung verfaßte Texte nicht sofort neu gedruckt werden müssen. Das gilt insbesondere für Schul- und Jugendbücher, die kaum betroffen sind und bei Neuauflage umgestellt werden können. Dasselbe gilt für die Presse. Auch dort kann die Umstellung sozusagen auf evolutionärem Weg erfolgen. Sie ist andererseits besonders wichtig, weil in der Presse weit über das von der Neuregelung vorgesehene Maß hinaus etwa Wörter auseinandergerissen werden. Die beiliegende Liste kann einen Eindruck davon geben, was damit angerichtet wird. Es ist nicht übertrieben, hier von einem Zerstörungsprozeß zu sprechen.
Der Kompromißvorschlag der Akademie enthält zu allen genannten Bereichen wesentlich mehr Information und Beispiele, als hier zu nennen möglich ist. Die Akademie hat darüber hinaus eine Formulierung für die Neufassung des schwierigsten Teils der Neuregelung im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung vorgelegt, auf der aufgebaut werden kann.
4. Literaturhinweis
Zur Reform der deutschen Rechtschreibung. Ein Kompromißvorschlag. Herausgegeben von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Göttingen, 2. Aufl. 2003 (Wallstein Verlag).
Anhang
Zerrissene Verbformen. Zusammengestellt aus der Süddeutschen Zeitung und der Berliner Zeitung, 16 Juni bis 15. Juli 2003
- Rekonstruktion des bislang weit gehend unenttarnt gebliebenen Inlandsnetzes
- Kokain belastet
- bei nächster Gelegenheit weg gelobt zu werden
- Ö. habe dann viel herum telefoniert
- ein Bild des Schlamm bedeckten Dresdner Elbufers
- nur zu den vom Verleger fest gesetzten Preisen
- weil er leicht und locker daher plauderte
- an den Verhandlungstisch zurück zu kehren
- Einige Teilstücke des Prestigeprojekts bereits fertig gestellt
- soll bis spätestens 2015 fertig gestellt werden
- Auf die Berliner kommen weitere tief greifende Sparmaßnahmen zu
- das Blut befleckte Schwert
- schiefe Vorstellungen gerade zu rücken
- um schwer wiegende Fehler zu vermeiden
- In Shanghai wird Ende Juli die Lupu-Brücke für den Verkehr frei gegeben
- Wo ist Michel Friedmann hinein geraten?
- weil das den Flächentarifvertrag auseinander reißt
- die Läden würden aber wie bisher weiter geführt
- Potsdamer Marmorpalais fertig gestellt
- das am Rand des Flughafens bereit stand
- Zeit zum Tee trinken
- Kindergeldzuschlag für gering verdienende Eltern
- Abiturprüfungen an allgemein bildenden Schulen
- auf Berlusconis Ebene des politischen Schlagabtauschs hinab steigen
- soll einem Zeitkonto gut geschrieben werden
- wer sich wohl fühlt, schimpft trotzdem
- ihm wird es in den fünfziger Jahren nicht schwer gefallen sein
- aus lose aneinander gereihten Erinnerungsfragmenten
- an der Stirnseite des lang gestreckten Besprechungsraumes
- damit sich Schüler dennoch mit Filmen auseinander setzen können
- Auf ewig ruhig gestellt
- Selbst gedrehte Zigaretten
- Auto fahren im Ausland
- Hat sich trotzdem eine Zecke fest gebissen
- scheint der Pakt auseinander zu brechen
- Leer stehende Läden in der Allee
- sind mehrheitlich Not leidend
- 40 000 Mark entgegen genommen
- Ferienpass zum Ski fahren ... können zum Skifahren auf den Gletscher
- enttäuschen hoch gesteckte Erwartungen
Ursprünglicher ort (nicht mehr aktiv): http://www.deutscheakademie.de/druckversionen/forum_kurzfassung_kompromissvorschlag_sep04.html