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Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)

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Der Platz, an dem ich schreibe

autor
titel
Der Platz, an dem ich schreibe.
untertitel
17 Erklärungen zum Handwerk des Schriftstellers.
heraus­geber
Arno-Schmidt-stiftung
verlag
Haffmans verlag
ort
Zürich
datum
isbn
978-3251002207
ausstattung, umfang
gebunden, 142 s.
ortografie
erstausgabe, gesetzt nach den original­typoskripten des verfassers
umschlag
titel

Inhalts­verzeichnis

Berechnungen 7
Gesegnete Majuskeln 19
Oh, daß ich tausend Zungen hätte 23
Man nehme … 28
Die aussterbende Erzählung. 33
Vorsicht : Gesamtausgabe ! 40
Nebenberuf : Dichter ? 45
Die Brotarbeit. 50
Die große Hebammenkunst. 55
Die Handlungsreisenden. 60
Flucht vor dem Werk 70
Dichter und ihre Gesellen. 74
Dichtung und Dialekt. 88
Der Dichter und die Kritik. 94
Der Platz, an dem ich schreibe. 101
Ach, wie gut, daß Niemand weiß … ! 110
Meine Bibliothek. 125
Editorische Notiz 140

Auszug

GESEGNETE MAJUSKELN

Nicht ohne Widerstreben und der Mißdeutung fast gewiß, spreche ich meine Ansichten über Rechtschreibung öffentlich aus; zumindest bitte ich, sich jederzeit gegenwärtig zu halten, daß ich – fast von jeder Seite ohne Zögern als »Avantgardist« eingestuft – seit Jahren das vergipste Gravitationszentrum des Gebrauchsdeutschen verlassen habe, und bewußt in den Randgebieten und Bayous unserer Sprache neue Wege suche (oder präziser : bahne). Ich gehe hier also lediglich vom Standpunkt des Pioniers aus, der Worte nicht nur verwendet, um beim Bäckerjungen verständlich seine Morgensemmel zu bestellen; sondern um die Fülle der Erscheinungen linguistisch einzuholen, sie immer überlegener zu benennen (also zu beherrschen ! ) und Neues sichtbar zu machen. –

Die Großschreibung der Substantive im Deutschen ist nicht nur philosophisch eine Feinheit und ein Vorzug; sondern mir auch handwerklich unerläßlich. Ich schrieb einmal – ein Beispiel statt vieler – etwa so : »Winterwäldler : sie machten öde Ringe um die aschengrube Welt.« Nur durch die im Deutschen mögliche Unterscheidung durch große und kleine Anfangsbuchstaben konnte ich unverwechselbar festlegen, daß ich »aschengrube« hier als Eigenschaftswort gesehen wissen wollte ! Man schreibe in dem angeführten Satz sämtliche Worte klein : und ich scheine von einer Aschengrube, Welt genannt, zu sprechen – was zwar auch einen Sinn ergiebt, aber nicht den von mir gewollten. (Ich weise ausdrücklich darauf hin, daß diese adjektivistische Verwendung von Substantiven keine Spielerei darstellt; ein Substantiv ist nämlich bereits ein ganzes Bündel von Eigenschaften und löst vermittels eines Wortes – und also viel rascher, also suggestiver, als mehrere Adjektive dies vermöchten – das gewünschte kompliziert=volle Bild im Leser aus.)

Außerdem wird durch unsere gesegneten Majuskeln die Orientierung im Satz so sehr erleichtert, daß man, anstatt sie abschaffen zu wollen, lieber den anderen Sprachen ihre Aufnahme anempfehlen sollte.

Eine phonetische Schreibweise lehne ich für mich ebenfalls ab. Einmal, weil man dadurch die meisten Worte gewaltsam von ihrem historischen Ursprung abtrennen, und damit eine Fülle von Reminiszenzen und Assoziationen vernichten würde; zum zweiten, weil man dadurch den Dialekten – diesem unschätzbaren Quell= und Grundwasser jeder Sprache – den wohl endgültigen Todesstoß versetzen würde (man hat scheinbar an den verheerenden Folgen des drohenden Verlustes unserer Ostdialekte noch nicht genug ! ); auch könnte man den alten Adelungschen Streit, »Was ist Hochdeutsch«, beliebig erneuern. –

Andererseits sehe ich sehr wohl ein, daß für »das Volk«, ob In= oder Ausländer, eine Vereinfachung der Rechtschreibung doch wünschenswert, und im »praktischen Gebrauch« eine rechte Erleichterung sein könnte; und schlage zur Lösung dieses Dilemmas folgenden Weg vor :

Seit langem schon hat sich durch die immer wachsende Ausdehnung jedes Wissensgebietes zwangsläufig eine Dosierung von Kenntnissen ergeben. Der Volksschüler lernt wohl »rechnen«; aber daß limes (1 + i/n) hoch n für n gegen unendlich gleich e ist, weiß er nicht; es interessiert ihn auch nicht, und mit Recht empfindet er dieses Nichtwissen durchaus nicht als Diffamierung. Für jede andere Wissenschaft (und Kunst) gilt dasselbe. In der Wortschrift des Chinesischen etwa, kennt der einfache Mann ein paar hundert Zeichen; das reicht für seine Zwecke der Verständigung und sogar fürs Zeitunglesen aus; den Vorrat für seinen speziellen Beruf erwirbt sich Jeder während der Lehrzeit.

Was hinderte auch uns, ein »Tausend-Worte-Lexikon« nach einem international vereinbarten phonetischen Schlüssel zu fixieren ? Hier könnte ohne Schaden auch die konsequente Kleinschreibung angewendet werden, die ja wohl fürs Druck- und Schreibmaschinenwesen tatsächlich eine Arbeitsersparnis von gewichtigen Prozenten ergäbe. Dadurch würde nicht nur dem Volke geholfen; sondern auch dem Geistesarbeiter – speziell natürlich dem Dichter – die Stelle angewiesen, die er als »Wortspezialist« seit langem verdiente. In einer solchen Trennung in »reine« und »angewandte« Sprache liegt weder eine Ungerechtigkeit noch ein Grund zur Beschämung; betrachtet sich der Jodler als deklassiert, weil er keine Opernpartitur lesen kann ? Und welche Erleichterung für den Liebhaber von »Lore-Romanen« : wenn er versehentlich den »Faust« erwischte, sähe ers sogleich am Druck !

Und umgekehrt !


stellungnahme
Gesegnete minuskeln