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Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)

berichte → jahresbericht 1996
ortografie.ch ersetzt sprache.org ortografie.ch ersetzt in zukunft sprache.org

Jahresbericht des vorsitzers für 1996

Die neue rechtschreibung ist da! Sichtbares zeichen ist der im august erschienene duden. Der BVR hat zwar nicht sein ziel erreicht, darf aber wohl erstmals in seiner 73-jährigen geschichte behaupten, dass er etwas bewirkt hat.

Streng genommen ist die neue rechtschreibung noch nicht da, denn für die schulen wurde die einführung auf den 1. august 1998 festgelegt; und in Deutschland sehen oppositionelle kreise noch eine chance für einen stopp. Aber einerseits wird in einigen schulen bereits nach den neuen regeln unterrichtet, und anderseits dürfte der duden für die öffentlichkeit, die ja nicht der schulgesetzgebung untersteht, das entsprechende signal sein. Dafür spricht, dass der duden die bestsellerlisten anführt.

Auch einzelne zeitungen und zeitschriften haben bereits umgestellt. Jedermann kann nun die auswirkungen der reform beobachten, und jedermann wird feststellen, dass man (wenigstens in der Schweiz) eine ganze zeitung lesen muss, um ein urteil über die ortografieversion abgeben zu können. So zeigte etwa ein kioskaushang des "Tages-Anzeigers" kurz nach erscheinen des dudens ("Der Kanton Zürich geht Pleite") zwar die neue schreibung, aber es war eben eine falsche alte. Entscheidend für eine umstellung bei vielen druck-erzeugnissen und ebenfalls bei vielen einzelpersonen wird wohl das vorhandensein angepasster elektronischer editierhilfen sein. Diese könnten — zusammen mit eigentlichen konversionsprogrammen — eine nicht unerhebliche beschleunigung von ortografischen umstellungen bringen.

So bescheiden die rechtschreibreform ausgefallen ist, so erfreulich sind die bemühungen um eine künftige pflege der rechtschreibung. In kürze wird beim Institut für deutsche sprache (Ids) in Mannheim die kommission gebildet, die sich im staatlichen auftrag um die wissenschaftliche beobachtung und weiterentwicklung der rechtschreibung zu kümmern hat, wie dies zwischen den deutschsprachigen staaten am 1. juli 1996 vereinbart wurde. Diese ständige kommission soll, wie es in einer mitteilung des Ids heisst, auf die wahrung einer einheitlichen rechtschreibung im deutschen sprachraum hinwirken, die einführung der neuregelung begleiten und die künftige sprachentwicklung beobachten. Falls erforderlich, wird sie, gestützt auf diese beobachtungen, dem staat vorschläge zur weiterentwicklung des regelwerks machen.

Diese epochale errungenschaft wird auch eine angemessene vertretung der kleinen staaten wie der Schweiz sicherstellen. Zweifel sind aber wohl nach wie vor bezüglich der politischen abstützung angebracht, denn der "staat" wird durch drei dutzend schulminister mit dreidutzendfachem vetorecht repräsentiert.

Eine folge der rechtschreibreform und vor allem der neuen kommission ist eine "entmachtung" des dudens. Noch hat es der eingangs erwähnten signalwirkung keinen abbruch getan, vor allem in der Schweiz, aber andere wörterbücher wie das von Bertelsmann sind nun "gleichberechtigt".

Während hierzulande die schlacht geschlagen sein dürfte, sind in Deutschland grössere nachhutgefechte im gang. Die unerwartet heftige opposition ist vielleicht nur viel lärm um nichts und soll nicht überbewertet werden; sie beweist nicht, dass eine andere reform besser weggekommen wäre. Sie liefert aber eine lektion zum tema akzeptanz. Ihr zuliebe ist man manchen problematischen kompromiss eingegangen, und nun kassiert man schläge von denen, auf die man rücksicht genommen hat. Und wie es bei kompromissen passieren kann, gibt es unheilige allianzen. Nur so ist beispielsweise ein umfrageergebnis der zeitung "Brückenbauer" zu erklären, wonach 91% gegen diese reform sind. So viele reformgegner gibt es gar nicht; der negative standpunkt enthält denn auch den satz: "Wenn die deutsche Sprache überhaupt reformiert werden soll, dann wäre es besser, Gross- und Kleinschreibung gleich ganz abzuschaffen." Der satz ist nicht vom BVR, er ist aber kein einzelfall. Der von einem wortführer der gegner vorgetragene vorwurf "Soviel aufwand für ein halbes prozent des textbildes" ist, obwohl in unserem sinn, kaum als wunsch nach grösserer veränderung zu interpretieren, aber er genügt zur falsifikation des grundsatzes "Je weniger veränderung, desto grösser die akzeptanz".

Wie immer und überall auf der welt ist die akzeptanz bei den schriftstellern besonders schlecht. Sie konkretisierte sich in einem boykottaufruf, der als "frankfurter erklärung" von einem bis dahin unbekannten lehrer namens Denk anlässlich der buchmesse verfasst wurde. Der wirbel in der öffentlichkeit war gross, der erfolg weniger. Zum einen hat es etwas rührendes an sich, wenn rentner, unter ihnen ein hundertjähriger, die schulortografie boykottieren; zum andern haben die schriftsteller in eigener sache die vielgehörte tese, es werde zu wenig gelesen, bestätigt.

Die politischen und juristischen nachhutgefechte gipfeln in volksbegehren in drei bundesländern sowie in einem vorstoss im bundestag. Die deutschen kultusminister haben aber zum glück klargestellt, dass sie sich nicht von der lange genug vorbereiteten reform abbringen lassen. Kritisiert wird, dass die sache zu wichtig sei, um von der exekutive entschieden zu werden. Das ist ein erwägenswerter ansatz, aber wenn man ihn zu ende denkt, muss man primär die legitimation der bisherigen regelung in zweifel ziehen — und das hätte man schon früher tun können.

In Deutschland und in geringerem mass in der Schweiz gab es sehr viele medienberichte und publikumsreaktionen. Ihre auswertung ist sehr aufwändig und wird sich noch einige zeit hinziehen. Vermutlich zum ersten mal in der ortografiegeschichte nahmen sich die fasnachtspoeten in grösserem umfang der sache an.

BVR

Die generalversammlung fand am 2. märz in Zürich statt. Der vorstand traf sich im september in Bern. Der kassier, René Schild, konnte mit einem neueren computer ausgerüstet werden, während die suche nach der idealen "weichware" weitergeht.

Die Rechtschreibung, zusammengestellt von René Schild und neuerdings durch eine ISSN "geadelt", erschien dreimal mit total 24 seiten, und bereits liegt die erste ausgabe des neuen jahres vor. Neben aktuellen meldungen findet man in nummer 168 überlegungen von Philipp Stamm zu einer erweiterung des lateinischen alfabets für die deutsche sprache und in nummer 170 einen hinweis auf ein dänisches buch über die französische rechtschreibung. Nummer 171 vom februar 1997 enthält die "frankfurter erklärung" sowie stellungnahmen dazu von der kultusministerkonferenz, vom BVR und von Alfons Müller-Marzohl.

Der Schweizerische verein für die deutsche sprache sandte im juni eine nummer des "Sprachspiegels" an die BVR-mitglieder. Diese erhielten so einen einschlägigen artikel von Alfons Müller-Marzohl sowie einen einblick in die tätigkeit des vereins.

Dank einem jungen mitglied, einem germanistikstudenten, ist der BVR auch im internet präsent. Er hat innerhalb seiner homepage eine provisorische seite eingerichtet. Sie hat folgende adresse:

http://ourworld.compuserve.com/homepages/baseggio/bvr.htm

In nächster zeit soll sie — wenn möglich in zusammenarbeit mit ähnlichen organisationen — ausgebaut und dank einer eigenen adresse besser zugänglich gemacht werden. Der BVR ist im internet nicht allein; man findet dort neben einschlägigen informationen von Ids, duden und mehreren universitäten (z. b. Bern) auch die reformvereine in Österreich und Grossbritannien. Das hat dank der bequemen elektronischen post zu einer wiederbelebung alter beziehungen geführt.

Die zahl der mitglieder ist erwartungsgemäss nach wie vor rückläufig, aber bis jetzt sind wir "mit einem blauen auge" davongekommen. Anfang 1996 zählte der BVR 1229 mitglieder, anfang märz (gv) 1213, ende jahr 1106, und anfang märz 1997 sind es 1095. Davon sind 258 "lebenslänglich" und leider nur noch 3 kollektiv. Die im berichtszeitraum ausgetretenen gehörten dem BVR zwischen einem halben jahr und 51 jahren an. Todesfälle sind uns folgende gemeldet worden: Martin von der Crone, Rüti (mitglied seit 1972), Sonja Heer, Winterthur (1969), Emmi Lehmann, Niederhelfenschwil (1966), Willy Stuber, Aarwangen (1959), Hans Weber, Brittnau (1950), Ernst Widmer, Kreuzlingen (1945).

Die ziele unseres vereins bleiben unverändert. Ich danke allen, die unbeirrt daran festhalten und uns die treue halten.