Der Sinn von Reformen ist es, zu vereinfachen, wenn nötig radikal. Die Reformen, die Deutschland in den vergangenen Jahren erlebt hat, haben das Gegenteil zum Resultat gehabt. Sie haben die Systeme, die sie retten wollten, komplizierter, unübersichtlicher, unkalkulierbar gemacht. Über kurz oder lang sind die angestrebten Einsparungen aufgefressen von dem Bemühen, es trotzdem allen recht zu machen. Was natürlich dazu führt, daß sich schließlich alle benachteiligt fühlen. Hätte man rechtzeitig erkannt, daß die Reform der Rechtschreibung nur der Probelauf war für unnötige Veränderungen mit beispielloser Inanspruchnahme der Öffentlichkeit und hohen Kosten, man hätte ein "Wehret den Anfängen" ausrufen müssen. Das Ergebnis ist mager, wie jeder Leser feststellen kann, der noch die alte Rechtschreibung beherrscht. Das meiste fällt nicht auf, hätte also durch Einzelregelungen eingeführt werden können, und was auffällt, ist meist widersinnig.
Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)
Aus presse und internet
31. 12. 2005
2005-12-30
2. JUNI: Die KMK beschließt, die Reform vom 1. August 2005 an in Schulen und Behörden verbindlich zu machen.
1. August: Die Rechtschreibreform tritt als Torso in Kraft. Die Kultusminister, die in jahrelanger Borniertheit ihr gesamtes Ansehen verspielt haben, sind wortbrüchig: Von der versprochenen verbindlichen Regelung kann keine Rede sein. Der Rat für Rechtschreibung widersteht dem Druck der Politik und arbeitet beharrlich weiter an der Reform der Reform.
In den Niederlanden tobt ein Streit um die Rechtschreibreform, die im August in Kraft treten soll und nach Meinung vieler "der Sprache die Frische raubt". Das "n" ist den Niederländern in den vergangenen Wochen ein Gräuel geworden so wie den Deutschen das dritte "f" in Schifffahrt. Denn über das Land der "pannenkoeken" und der "paardebloemen" (Löwenzahn) ist eine Rechtschreibreform hereingebrochen, die den Pfanne(n)kuchen das Plural-N rauben und es dafür beim Löwe(n)zahn einführen will. […] Die drei wichtigsten niederländischen Tageszeitungen, Wochenmagazine und sogar Rundfunksender kündigten Widerstand an. Die Vorschriften seien absurd und inkonsequent und machten die Sprache von 22 Millionen Menschen undeutlich und hässlich, ließen sie wissen.
27. 12. 2005
Im rund um die Uhr geöffneten Erdgeschoß wählt man aus dem in vorrevolutionärer Orthographie gedruckten "Gastronomischen Boten" marinierte Pilze, Elch-Aspik oder Kaviar als beste Unterlage zum jahreszeitlich nahezu obligatorischen Wodka.
22. 12. 2005
Nach den Diskussionen um Farbfotos und die Veränderung in der Frakturschrift folgt nun der Dammbruch: die schreiend rote Farbe, schon auf der ersten Seite, beleidigt das Auge, wirkt abstoßend und billig. […] Sollten Sie auch noch das Beibehalten der alten Rechtschreibung aufgeben, dann landen Sie endgültig im Keller der Profil- und Bedeutungslosigkeit […].
Was soll dieser rote Schnickschnack? […] Ich bitte Sie daher: Kehren Sie zurück zum bewährten Erscheinungsbild der F.A.Z., so wie Sie zur bewährten Rechtschreibung zurückgekehrt sind!
2005-12-21
Vor gut zwei Monaten ist das neue "Grüne Büchlein" erschienen, das mehr als tausend Seiten starke Manifest der institutionalisierten Sprachrevolution […]. Mit der demonstrativen Gelassenheit eines Berufspolitikers hält Maarten van den Toorn der Medienfronde entgegen, daß der Zug abgefahren sei. Der Linguist beherrscht die Taktik der Sprachreformer aller Länder: Protest kommt stets zu spät, eine öffentliche Debatte ist immer schon längst überflüssig. […] Von Willkür und Wahnsinn spricht hingegen Gerard C. Molewijk, der sich als Historiker mit der Geschichte der niederländischen Rechtschreibung befaßt hat. […] Die niederländische Schriftsprache werde durch die periodisch wiederkehrenden staatlichen Eingriffe in einem Zustand der künstlichen Instabilität gehalten, so Molewijk mit Blick auf die Reformen von 1934, 1947, 1955 und 1995. Sie sei bei der "Taalunie" erwiesenermaßen nicht in guten Händen und müsse endlich ihren Benutzern zurückgegeben werden.
Falls die Vorschläge des Rechtschreibrats von den Kultusministern akzeptiert werden, womit zu rechnen ist, wird sich die amtliche Rechtschreibung in gewissem Maße der herkömmlichen annähern. Diese bleibt jedoch auch der ein weiteres Mal reformierten Reformschreibung überlegen. Wer bisher an der gewöhnlichen Orthographie festgehalten hat, darf sich bestätigt sehen.
2005-12-20
"Die Bürger möchten über eine neue Rechtschreibung mitreden. Die Zeiten sind vorbei, als man etwas so Einschneidendes wie eine Orthographiereform von oben auferlegen konnte", sagt "Elsevier"-Chefredakteur Joustra. Für die Aufständischen paßt es ins Bild, daß die Reform nach herkömmlicher Art im Land des Poldermodells abseits der Öffentlichkeit von einem Fachgremium ausgehandelt wurde.
Ja, wir sind leider «abseits der Öffentlichkeit». Wir fänden es auch gut, wenn alle bürger verpflichtet wären, unsere verlautbarungen zu studieren.
Die jüngsten Verbesserungsvorschläge des Rats für deutsche Rechtschreibung gehen der Berliner Forschungsgruppe Deutsche Sprache (FDS) bislang nicht weit genug. Sie plädiert dafür, sich noch mehr der alten Rechtschreibung anzunähern. Die "herkömmliche Orthographie" bleibe auch der "ein weiteres Mal reformierten Reformschreibung" klar überlegen, bemängelt die Forschungsgruppe.
2005-12-19
Sprachregelung wäre nicht die unwichtigste Sache, worum eine Akademie sich verdient machen könnte. Von diesem Eisberg stellt die Rechtschreibung nur die äußerste, oberflächlichste Spitze dar, und das ganze Gezänk um sie hat die wesentlichen Punkte nicht einmal berührt: Wie man mit der Einbürgerung fremder Worte verfahren soll, welche Maximalgrößen Behörden bei der Neuersinnung zusammengesetzter Substantive zu beachten haben – mit einem Wort, eine gewisse Normierung des Stils im öffentlichen Sprechen. Die Kombination von Souveränität und Stilkritik (die ja offenbar auch in Frankreich nicht so ganz funktioniert) erfordert eine Balance von Anmut und Würde, die in jedem Fall prekär bleiben muss.
14. 12. 2005

Der größte Schritt der Reform-Reformer ist allerdings struktureller Natur: Man wagt ansatzweise demokratische Elemente ins Verfahren zu integrieren. So wird Interessenvertretern in besonderem Maße Betroffener ein rudimentäres Mitspracherecht eingeräumt: Bundeselternrat, Bundesschülerrat und die Verwaltung dürfen sich äußern.

Seit acht Jahren kämpft die Oldenburger Schülerin Josephine Ahrens, 16, gegen die Rechtschreibreform. Kürzlich errang sie einen Etappensieg vor Gericht - und fürchtet doch, dass die landesweit verbindliche Entscheidung ausgesessen wird. […] Josephine folgt einem Motto ihrer Lieblingsband: "Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es ist nur deine Schuld, dass sie so bleibt", singen die Ärzte auf einer ihrer Platten.
So ein zufall — diesem motto folgen auch wir reformer! Und weiter singen «Die ärzte»: «Glaub keinem, der dir sagt, dass du nichts verändern kannst. Die, die das behaupten, haben nur vor veränderung angst. Es sind dieselben, die erklären, es sei gut so, wie es ist.»
12. 12. 2005
Gerhard Ruiss: Der Rechtschreibrat überarbeitet die Rechtschreibreform von 1996 grundlegend. Man könnte sagen, bis auf die ss-Regelung wird wahrscheinlich alles revidiert. […] Die Schüler sind, gelinde gesagt, in einer Art Geiselhaft. Und mit ihnen die Eltern, weil Reformumtriebige 1996 in Richtung Steckenpferd gemeint haben: Das wäre doch gut, es so zu machen. Es ist überhaupt nie in größerem Zusammenhang überlegt worden.
9. 12. 2005
Mit Freude bemerke ich die neue Gestaltung der F.A.Z. […] Diese Typographie versöhnt mich sogar (fast) mit dem falschen "s" in der Fraktur und mit Ihrem Kampf gegen die neue Rechtschreibung.
3. 12. 2005
Oder über die Rechtschreibreform: Man muss Renaissance jetzt so schreiben, als hätte sie nie stattgefunden.
Die einfachste Lösung der ohne Veranlassung problematisierten Rechtschreibung besteht darin, zum status quo ante zurückzukehren, und zwar bis zu jenem Ausgangspunkt, wo durch die unbemerkt gebliebene Hintertür die inkonsequent eingeführte ph=f-Schreibung durchschlüpfte.
2005-12
Am 13. Juni reichte Christoph Stalder, der für die FPD im Berner Kantonsparlament sitzt, eine Motion ein, die von der ganzen Fraktion getragen wurde. Sie verlangte unter dem Titel «Rechtschreibreform: Einführung unverzüglich stoppen!», daß die Neuregelung erst eingeführt werde, nachdem der Rat für Rechtschreibung deren Überarbeitung abgeschlossen habe. [… Stalder:] Der Vorstoß ist Ausdruck einer liberalen Grundhaltung, wonach der Staat sich nicht in Gebiete einmischen soll, die sich von ihrem Inhalt her einer amtlichen Reglementierung verschließen.
Gallmann ist verantwortlich für ein besonderes Ärgernis, den ausufernden Großbuchstaben. Eigentlich wollten die Reformer das Gegenteil, und nicht zufällig war an ihren Vorarbeiten der Zürcher «Bund für vereinfachte rechtschreibung» beteiligt. Er verfolgt mit der Kleinschreibung der Substantive und der Abschaffung etlicher Buchstaben uralte Reformziele des neunzehnten Jahrhunderts und hat nur wenige Mitglieder.

Derweil ist der prinzipielle Widerstand gegen die Rechtschreibreform noch keineswegs erlahmt und treibt manchmal recht krause Blüten. So hat sich zum Beispiel in der «Deutschen Sprachwelt» ein Mainzer Studienrat und Altphilologe zur dramatischen Äusserung verstiegen: «Wir gestehen durch die Rechtschreibreform ein, dass wir uns von unserem nationalen geistigen Erbe loskoppeln.»

Die Académie française im Verein mit den entsprechenden Instanzen hat relativ bescheidene Änderungen der französischen Rechtschreibung vorgeschlagen. Sie betreffen vor allem die Verwendung des Bindestrichs und einige besondere Fälle der Akzentsetzung, der Doppelkonsonanz und des Plurals.

Frage: Welches ist die Intention oder der Grund der Grossschreibung? Ich bin im Internet nicht fündig geworden. Antwort: […] Es ist mir seit 1984 noch ein Satz in Erinnerung geblieben: «Die deutsche Syntax ist am Geländer der Grossschreibung emporgewachsen.» Es ging darum, dass historisch zuerst die Grossschreibung jener Wörter kam, die man hervorheben wollte, dann eine zunehmende Reglementierung dieser gross zu schreibenden Wörter (der «Substantive» oder «Nomen»), damit einhergehend aber die freiere Stellung der Satzglieder (der Syntax) innerhalb eines Satzes.
2005-11-29

Feststehende Begriffe wie «Grosse Koalition», «Erste Bundesliga» oder «Grosse Kreisstadt» sollen künftig ebenfalls grossgeschrieben werden […]. Damit verfolge der Rat weiter das Ziel, wieder mehr nach dem Sinn und nicht so stark nach einem Regelwerk zu schreiben.
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2005-11-28
Solange der Rat für deutsche Rechtschreibung sich der Zweidrittelmehrheit der Reformbefürworter zu beugen hat, werden die grammatisch und phonetisch falschen Schreibweisen weiterbestehen. […] Wer im Rat das Sagen hat, zeigt sich daran, daß Zehetmair jetzt selbst darauf verweist, daß nicht "jedes Faß geöffnet" werden kann.
Weil ich gerade lese, daß kaum noch Deutsche unter 60 Jahren in Konzerte und Opern gehen. Also in naher Zukunft Mahler für einen Maler halten oder für Rechtschreibreform und Hockney für keine Pop-art, sondern für eine Rasensportart.
2005-11-26
«Einfach Haar sträubend» versöhnt uns mit der Rechtschreibereform.
Der Rat für deutsche Rechtschreibung will die Gross- und Kleinschreibung ändern. Feststehende Begriffe wie «grosse Koalition», «erste Bundesliga» oder «grosse Kreisstadt» sollen künftig ebenfalls gross geschrieben werden. Damit verfolge der Rat weiter das Ziel, wieder mehr nach dem Sinn und nicht so stark nach einem Regelwerk zu schreiben.
Also, Grosse Koalition bedeutet: Koalition zwischen den grossen parteien. Und was bedeutet grosse Koalition? Es gibt keine andere, allgemeinere bedeutung. Deshalb ist die unterscheidungsschreibung überflüssig, deshalb gab es sie auch nicht im duden (bei der NZZ gab es sie früher).
Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat am Freitag in Mannheim die geänderte Silbentrennung am Zeilenende und die überarbeiteten Interpunktionsregeln beschlossen.
Die Groß- und Kleinschreibung geht zurück auf den österreichischen Amateurlinguisten Eugen Wüster und gilt unter den Kritikern der Neuregelung als umstritten, da sie viele grammatisch falsche Schreibweisen geschaffen hat. […] Es zeichnet sich eine Tendenz im Rechtschreibrat ab, die "Große Koalition", die "Zweite Kammer" und die "Große Anfrage" als Spezialbegriffe wieder groß zu schreiben.
Die gross- und kleinschreibung geht gewiss auf Wüster zurück — etwa im gleichen mass wie auf Adelung. Die formulierung, dass Große Koalition und die Zweite Kammer wieder gross geschrieben werden sollen, zeigt, wo die amateure am werk sind.
Es ist eines der hübschesten deutschen Wörter. Und eines der rätselhaftesten: das Quentchen; oder nach der neuen, nicht nach der bewährten Rechtschreibung: Quäntchen. […] Auf insgesamt zwölf Quentchen kam der Bundestrainer bei seinem Vortrag.
In kleinen Schritten wird die neue deutsche Rechtschreibung wieder an den Punkt zurückgeführt werden, wo die alte Rechtschreibung Mitte der neunziger Jahre aufhören musste.
2005-11-25
Ich hoffe nur, daß die Rechtschreibkommission(en) endlich zur Kenntnis nehmen, daß der Gebrauch von ß und ss über die Silbentrennung beziehungsweise die Silbengrenzen zu entscheiden ist und nicht danach, ob der vorausgehende Vokal lang oder kurz ist.
Anredeformen in Briefen und Zahlen stehen wieder zur Debatte. […] Die „Tendenz“ im Gremium gehe dahin, feststehende Begriffe wie etwa „große Koalition“ oder „schwarzes Brett“ wieder „Große Koalition“ und „Schwarzes Brett“ zu schreiben, sagte der Ratsvorsitzende und frühere bayerische Kultusminister Hans Zehetmair (CSU) heute nach der siebten Sitzung der Runde in Mannheim.
2005-11-23
L’orthographe française n’est plus un outil approprié à notre monde contemporain. […] La langue française a évolué. Il faut réformer cette orthographe d’épouvante. (...) Les résistances à cette réforme témoignent du refus bien connu du changement dans notre société française. Elles relèvent de fixations rigides à un passé idéalisé tout à fait révolu, qui, de plus, n’a sans doute jamais existé. Elles provoquent une multitude de conduites régressives dont les caprices électoraux récents et les violences des banlieues portent, entre autres, témoignage.
21. 11. 2005
Mehr argumentativen Aufwand und mehr Differenzierung, etwa in der Kritik an der Rechtschreibreform, betreibt Dieter E. Zimmer in «Sprache in Zeiten ihrer Unverbesserlichkeit».
Wer versteht, woher die Wörter kommen, muss laut Munske gar nicht über alte oder neue Rechtschreibung nachdenken […].
Die mullahs der rechtschreibung wollen uns das nachdenken ersparen. Wir sind für die aufklärung.
19. 11. 2005
Dabei hat Frau Weiss fraglos Erfolge vorzuweisen. […] Solcherlei Entschlossenheit freilich hätte man sich häufiger von der Kulturbeauftragten der Bundesregierung gewünscht. In der Debatte um die Rechtschreibreform etwa, fürwahr eine Frage der deutschen Kultur, äußerte sie sich nur einmal zaghaft zugunsten der Reformgegner, zog nach einem Rüffel des Kanzlers aber sogleich wieder den Kopf ein.
Immer schon wurde getrennt: Ur-in-stinkt und An-al-pha-bet, und zwar an der Stelle, an der die Zeile eben gerade zu Ende war. […] Da war es schon immer dem guten oder humorigen Geschmack des Schreibers überlassen — und Papier ist eben geduldig. Aber der Bändel und die Schifffahrt gefallen mir so richtig, und da an Kaisers „Thron“ immer noch keiner zu rütteln wagt, könnten wir ja Thür und Thor auch wieder so schreiben! Ich will damit nur sagen, wie willkürlich die ganze Rechtschreiberei ist. Eine total überbewertete Sache, so lange ich denken kann.
2005-11-18
In dem Haus […] haben sich die Handwerker im Keller eine Toilette eingerichtet und "Profisorium" an die Tür geschrieben. Eigentlich eine naheliegende Schreibweise.
17. 11. 2005
Auch die Weigerung, die bisherige kk-Schreibung wieder verbindlich zu machen, bedeutet, auf einer Falschschreibung zu bestehen: Trenne ich zum Beispiel das Wort "Mücke" nach der neuen Regel, so entsteht "Mü-cke" (statt "Mük-ke"). Das heißt, der Vokal wird von einem kurzen zu einem langen umfunktioniert, was phonetisch falsch ist.
Da können wir nur la-chen.

Für Deutschland ist es noch immer unmöglich, im europäischen Rahmen ein deutliches kulturpolitisches Profil zu zeigen. […] Zum Schaden des Ganzen werden ausgerechnet die föderalen und partikularen Instanzen, die sich schon bei der Reform der deutschen Rechtschreibung lächerlich gemacht haben, nun noch mehr internationales Gewicht erhalten.
16. 11. 2005
Wenn Jugendliche zum Handy greifen und virtuos mit dem Daumen auf die Tastatur hacken, kennt die Syntax längst keine Regeln mehr. Und neue oder alte Rechtschreibung — die ist den jungen Leuten sowieso egal.
Es wäre auch im Hinblick auf die Zielsetzung der Rechtschreibreform viel gewonnen, wenn man die alte ss-Regelung wieder einführen würde. Leider wurde die alte ss-Regelung bisher unnötig kompliziert erklärt. […] Schließlich ist die alte Regelung lesefreundlicher.
15. 11. 2005
Nein, wir lernen unsere Rechtschreibung und Grammatik tatsächlich nicht primär durch Regel-„Einpauken“, sondern durch kontinuierliches, von keiner Zeitvorgabe bestimmtes Lesen und – nicht zu letzt – durch die Einfühlsamkeit der hierfür in Lohn und Brot stehenden Lehrerschaft.
2005-11-14
Ob die Länder allerdings willens und in der Lage sind, ihrer neuen gesamtstaatlichen Verantwortung in der Bildungspolitik gerecht zu werden, müssen sie erst noch unter Beweis stellen. Die größte Verantwortung kommt dabei auf die KMK zu. Sie hat beim Debakel um die Rechtschreibreform und durch viele politische Patzer in der jüngsten Vergangenheit viel Vertrauen verspielt.
Was der Ratsvorsitzende Hans Zehetmair und der Rechtschreibrat aber nicht zu wissen scheinen, ist, dass die Abtrennung einzelner Vokale im Wort sehr wohl sinnvoll sein kann. Bisher durfte man nur Isra-el, aber Israe-li, europä-isch, aber europäi-sche, Nati-on, aber natio-nal trennen. Nach neuer Rechtschreibung kann man nun zusätzlich Isra-eli, europä-ische, nati-onal trennen, weil hier einzelne Vokale als eigene Trennsilben anerkannt werden: Isra-e-li, europä-i-sche, nati-o-nal. Diese neuen sinnvollen Trennmöglichkeiten sollen nun aber nach Zehetmairs Willen nicht mehr bestehen bleiben, weil ihn die große Angst aller Konservativen umtreibt, dass eine gewährte Freiheit ungebührlich ausgenutzt werden könnte.
13. 11. 2005
Fünf Kandidaten (zusammengestellt aus Vorschlägen der Leser und der Redaktion) präsentieren wir heute. Sie alle zeigen auf unterschiedlichen Feldern (Arbeitsmarkt, Steuersystem, Medien), daß mehr Eigenverantwortung sich auszahlt und daß Reformalternativen durchaus realisierbar sind. […] Mathias Döpfner. […] Unter seiner Führung kehrte Springer zur alten Rechtschreibung zurück und setzte ein Zeichen gegen die Bürokratisierung der Sprache.
2005-11-11
«Soll man die neue Rechtschreibung beibehalten?» […]. Eine Mehrheit der 358 Personen, die an der nicht repräsentativen Online-Umfrage teilnahmen, akzeptiert die Rechtschreibreform [58%]. Bemerkenswert ist allerdings der doch recht hohe Anteil der Neinstimmen [41%].
Erste Anzeichen für herbstliche Ermüdungen im anstrengenden Kampf um die wahre Schreibung […]? Was muß ich lesen in der Samstagausgabe vom 29. Oktober […]? Da heißt es doch im Untertitel glatt: "[…] sogar in rauen (!) Mengen".
2005-11-10
Daß die englische Übersetzung einige sachliche Ungenauigkeiten enthält und daß sie die Besonderheiten von Wittgensteins Stil, die mitunter unübliche Orthographie und die eigenwillige, wenn auch sehr gezielt eingesetzte Interpunktion nicht abzubilden vermag, wird der Leser verzeihen.
2005-11-07
[…] erfand Sloterdijk einfach ein neues Genre: die Dankesrede als Laudatio auf sich selbst. Zwischen gewohnten Schwafeleien über die "ewige Rechtschreibung des Seins" und das "Knistern des sich entknüllenden Weltpapiers" lobte er die Akademie dafür, daß sie ihn einer "Geste der schönsten akademischen Freiheit" ausgezeichnet habe […].

Die Intellektuellen, so hat Peter Sloterdijk einmal gesagt, können als gerüchteproduzierende Klasse zwar nicht die Menschheit verbessern, wohl aber den Satzbau. Die Darmstädter Akademie hat sich an diese Empfehlung in den vergangenen Jahren nicht gehalten. Mit intellektuellem Behauptungsstolz, geboren aus gekränktem Geltungsdrang, verstrickte man sich in kulturpessimistische Abwehrkämpfe gegen die Rechtschreibreform und gegen eine durchweg als verderblich empfundene Mediengesellschaft.
2005-11-05
Was die „Landesfürsten“ mit ihrer Föderalismuskonferenz bezwecken, ist nichts anderes, als rechtzeitig Pflöcke einzuschlagen in die Minenfelder der Politik, zwischen denen dann schon bald die Fallstricke für Merkel gespannt werden. Natürlich ist das alles im Interesse der Länder, so wird das jedenfalls dargestellt. Das Verteilungshickhack für die Einnahmen aus der geplanten Mehrwertsteuererhöhung war symptomatisch. Sie brüsten sich also, 30 Stellen in der Kultusministerkonferenz abbauen zu wollen, verschweigen aber, dass diese Kommission 900 hoch bezahlte Beamte beschäftigt, die es weder geschafft haben, eine einheitliche Rechtschreibreform hinzubekommen noch einheitliche Schulbücher.
2005-11-04
So hat Donatella, die Wirtin des Stammlokals in Volterra, ihre Speisekarte ins Deutsche übersetzen lassen. Das entspricht dem „zeitgeist“ der Globalisierung und wir können, ohne groß italienische Sprachkenntnisse vortäuschen zu müssen, bequem ein „Gerostetes Brot mit Knoiblauch“ (Crostoni) oder auch einfach „Oliven öl mit fescher Knobeauch und Gewurze“ (Futtante) bestellen. […] Selbst noch völlig von der Rechtschreibreform in Deutschland verunsichert, loben wir Donatella ob ihrer Bemühungen zur Völkerverständigung – und schweigen.
Da mittlerweile auch in der Politik die Achtundsechziger abgetreten sind […], steht im Augenblick (aber wohl nicht sehr lange noch) das Zeitfenster für einige Berichtigungen offen, die vor dem Abschluß der RSR als "bisher übergangen" anzumahnen sind. Das betrifft den schon älteren "Sündenfall" in Gestalt des griechischen "Ph", dessen Schreibung als "F" sich heimlich still und leise verfestigt. Ist es im Gegensatz zu angelsächsischen Kindern von deutschen Schülern zuviel verlangt, sich der griechischen Wurzeln im Begriff "Telephon" ("tele" = fern, fernhin, "phonein" = rufen) bewußt zu sein? […] Und was soll der "Geograf"? Was hat der Erdkundler mit einer Adelsstufe gemein?
Sehr viel, beide sind schreiber. Das beispiel zeigt, wie gewisse zeitungen die leserbriefe auswählen: tendenz vor sachlicher richtigkeit.
Im Rechtschreib-Streit beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht Lüneburg errang die Schülerin Josephine Ahrens (F.A.Z.-Feuilleton vom 14. Oktober) einen Sieg mit Schreibfehlern, wie der Leitsatz des Oberverwaltungsgerichts-Beschlusses vom 13. September dieses Jahres zeigt: “Herkömmliche Schreibweisen dürfen im Schulunterricht solange nicht als ‚falsch’ bezeichnet werden, wie sich reformierte Schreibweisen nicht allgemein durchgesetzt haben.” Hier hätte es (reformunabhängig) “so lange” heißen müssen (Rechtschreibfehler) und wäre “Schreibweise” angebracht gewesen (Grammatikfehler).
Als Deutschlehrer werde ich niemals die Beherrschung der bewährten Rechtschreibung sanktionieren. […] Auf breiter Front […] wird der unbegründete Eingriff des Staates in die Sprache zurückgewiesen.
2005-11-02
Abweichend vom derzeitigen Reformstand soll der «erweiterte Infinitiv mit «zu» wie früher ein obligatorisches Komma verlangen. Zwischen zwei mit «und» verbundenen Hauptsätzen darf wieder, aber muss nicht notwendig ein Komma stehen. Generell sollten die Schüler zu einer leserfreundlichen Zeichensetzung angehalten werden, und damit kämen im Grunde alle alten Kommaregeln als «Kann-Bestimmungen» wieder zu Geltung, erläuterte Hans Zehetmair […].
Und damit sind wir im grunde wieder gleich weit.
Und Mey hat viel zu sagen. Mal reflektiert er ironisch den Zustand des Betrunkenseins, dann die Lage der Nation […] Er macht sich über die Rechtschreibreform lustig: "Ihr wisst von mir tausend Dinge, aber nicht, wie ich sie schreibe!"
Tausend dinge wissen wir nicht, aber gemäss Kölnischer Rundschau vom 27. 10. 2000 eines: «Ich singe nach der alten Rechtschreibung»
Wen kann es kaltlassen, zu was ("Im Jahre 15 danach", F.A.Z. vom 4. Oktober) statt wofür lesen zu müssen? […] Man möchte meinen, die F.A.Z., Spitzenblatt des deutschen Journalismus und bewährtes "Kampforgan" gegen die Verschluderung des Deutschen durch die sogenannte Rechtschreibreform, sollte auch selbst in sprachlichen Dingen Vorbild sein.
11. 2005
Immerhin habe ich mittlerweile begriffen, wieso ich hier nichts begreife. Im Japanischen existieren drei völlig unterschiedliche Zeichensysteme. Die aus dem Chinesischen übernommenen Kanji, von denen es über 5000 gibt und die eigentlich jedes für sich genommen ein kleiner Manga-Comic sind. […] Daneben gibt es zwei Zeichensysteme, […] Hiragana und Katakana, in etwa zu vergleichen mit unserer Schreib- und Druckschrift. Nur dass für das westliche Auge zwischen dem Schreib- und dem entsprechenden Druckschriftzeichen beim besten Willen keine Familienähnlichkeit mehr festzustellen ist. Und eigentlich würden diese Silbenzeichen völlig ausreichen, alles, was es in der japanischen Sprache zu sagen gibt, aufzuschreiben, aber bislang sind sämtliche Versuche, das Japanische einer Rechtschreibreform zu unterziehen, gescheitert. Unweigerlich muss ich an den Kampf denken, der in Deutschland um den „Delfin“ bzw. „Delphin“ gefochten wird.