Der neue rat für deutsche rechtschreibung hat die aufgabe, die einheitlichkeit der rechtschreibung im deutschen sprachraum zu bewahren. Er wird die entwicklung der schreibpraxis beobachten und die rechtschreibung auf der grundlage des ortografischen regelwerks im notwendigen umfang weiterentwickeln. (Ergebnisse der 307. Plenarsitzung der Kultusministerkonferenz, KMK-Pressemitteilung, 15. 10. 2004)
Die Kultusministerkonferenz ist der Auffassung, dass die Entwicklung des Schriftgebrauchs zukünftig über einen längeren Zeitraum hinweg zu beobachten ist. […] Für diese Beobachtung sollte […] ein "Rat für deutsche Rechtschreibung" geschaffen werden, der die Aufgaben der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung sowie der jeweiligen Beiräte übernimmt. Mit der Bundesregierung sowie den zuständigen Stellen in Österreich, der Schweiz und Liechtensteins soll eine abgestimmte Vorlage über die Aufgaben eines künftigen "Rates für deutsche Rechtschreibung" vorgelegt werden. Die Zusammensetzung des "Rates für deutsche Rechtschreibung" soll durch ein hohes Maß an Pluralität gekennzeichnet sein und damit eine große Akzeptanz bei allen Beteiligten erfahren. […] Die Kultusministerkonferenz begrüßt die grundsätzliche Bereitschaft der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, sich an der Erörterung von Aufgaben und Struktur dieses Rates zu beteiligen.
Neben fachlich ausgewiesenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist die gleichberechtigte Mitgliedschaft von Vertreterinnen und Vertretern aus dem Verlagswesen, der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, aus dem pädagogischen sowie aus dem journalistischen und schriftstellerischen Bereich vorgesehen. Die Auswahl der vorgeschlagenen Institutionen macht deutlich, wie wichtig es der Kultusministerkonferenz ist, möglichst viel Kompetenz und möglichst viele Sichtweisen einzubinden. In dem Rat haben ausdrücklich auch Kritikerinnen und Kritiker der reformierten Rechtschreibung einen Platz.
Die vom Reiche einzuſetzende Commiſſion hätte alſo wenn nicht ganz, ſo doch mindeſtens zur Hälfte aus Germaniſten zu beſtehen; denn ſie ſind doch für unſere Frage die Fachmänner ſchlechthin und würden wir für unſere Perſon dem wiſſenſchaftlichen Tact einer nur aus ihrer Mitte berufenen Conferenz die Regelung der ganzen Angelegenheit anvertrauen. Doch man würde vielleicht über die Einſeitigkeit der Zuſammenſetzung Klage führen, obwohl ja bekanntlich unter den Germaniſten ſelbſt betreffs unſerer Frage die verſchiedenſten Richtungen vertreten ſind; deswegen möge die andere Hälfte der Conferenz aus ſogenannten praktiſchen Schulmännern gebildet werden, und zwar ſollen nicht bloß die höheren Schulen, ſondern auch die Volks- und Elementarſchulen tüchtige Vertreter in dieſelbe ſchicken.
Peter Schmachthagen, Berliner Morgenpost,
Bis zum Juni 2004 konnte man in Schulen und Medien gut damit leben, sodass die Kultusminister nach fünfjähriger Probephase die neue Rechtschreibung für verbindlich erklärten. Die Ministerpräsidenten ließen sich jedoch vom Chef eines Berliner Großverlags einschüchtern und setzten einen zusammengewürfelten Rat für deutsche Rechtschreibung ein, um die Reform zu überprüfen. Man darf unterstellen, dass das nicht aus Sorge um das Kulturgut der deutschen Sprache geschah, sondern ganz einfach aus Angst um die Wählerstimmen angesichts der Kampagne der „Bild“-Zeitung gegen die angebliche „Schlechtschreibreform“.
Peter Schmachthagen, Hamburger Abendblatt,
Als der orthografische Gegenwind und der Graben zwischen Alt-Schreibern und Reformunterstützern zum politischen Risiko zu werden drohte, konstituierte sich am 17. Dezember 2004 der Rat für deutsche Rechtschreibung, der die strittigen Punkte der Reform noch einmal erörtern sollte.
Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, pressemitteilung,
Die Mitarbeit im Rechtschreibrat ist ein harmoniesüchtiges Angebot der KMK an die Opposition. Als Altachtundsechzigerin bin ich trotzdem dafür, den Rechtschreibgegnern eine Chance zu geben.
Der öffentliche Aufschrei hat […] Ihre arrogante Mannheimer „Expertenrunde“ geschlossen in die Wüste geschickt. Auch den etwas demokratischer orientierten „Rat für deutsche Rechtschreibung“ wird es nicht geben. In Rechtschreibfragen wenigstens haben die Deutschen jetzt von staatlicher Gängelei die Nase voll.
Yahoo! Nachrichten,
Zehetmair […] sprach sich dafür aus, dass der Rat seine Empfehlungen zur Reform mit einer Zweidrittelmehrheit beschließen sollte. Die Entscheidungen sollten auch tragen und nicht durch knappe Mehrheiten entwertet werden. Die Kultusministerkonferenz hatte die einfache Mehrheit vorgeschlagen.
Eine einheitliche Darstellung des Rates nach außen wird es nun […] kaum noch geben. […] Zu heterogen ist die Zusammensetzung, zu unterschiedlich sind die sprachwissenschaftlichen Kompetenzen, und auch Laien zählen dazu. Der überwiegend aus Interessenvertretern und nicht mit Orthografie-Vertretern besetzte Rat wird, so scheint es, das herrschende Durcheinander weiter vergrößern und sich nicht einmal auf eine homogene Darstellung seiner Aufgaben verständigen können.
Das Herumsitzen in Gremien zweifelhaftester Zusammensetzung mit dem Zweck, an der Sprache von 100 Millionen Menschen herumzubasteln, oder vielmehr an dem leichtfertigen Anschlag auf diese Sprache, ist grotesk.
Ich bin ein altes Schlachtross und habe Tausende von Sitzungsstunden erlebt. Solche Sitzungen wie in Mannheim sind mir aber nie untergekommen. Auch was die Leitung der Diskussion angeht. Das hatte mit durchschnittlich mitteleuropäischen Standards nichts mehr zu tun.
Im Mittelpunkt stehen seit zwei Jahren nicht mehr Korrekturen, sondern die Beobachtung der deutschen Sprache. Zum Beispiel schauen wir, ob sich bei den Fremdwörtern gewisse Eindeutschungen durchsetzen.
Riskieren wir deshalb einen konkreten Vorschlag, mit dem sich zahllose Diskussionen unter Fachleuten bündeln lassen. Ein Rat für Rechtschreibung, dem mittelfristig die Regelung der Orthographie des Deutschen obliegt, hat eine ungerade Zahl von weniger als zehn Mitgliedern. Sie sind Fachleute für Erhebung und Auswertung von Sprachdaten, für deren systematische Beschreibung wie für die Umsetzung der Beschreibungen in ein transparentes, einer größeren Öffentlichkeit zugängliches Regelwerk. Der Rat verfügt über Mittel zur Erfüllung seiner Aufgaben. Ihm steht ein Weg offen, den er zum Inkraftsetzen seiner Vorschläge beschreiten kann.
Die deutsche Orthographie braucht keinen Rat, der statistisch feststellt, ob die Schriftbenutzer künftig grünstreichen oder nicht lieber grün streichen.
Für das Ergebnis des jetzigen Berichts haben die Mitglieder zudem einiges an Strecke zurückgelegt. Sie sind zu zehn Tagungen in acht verschiedene Orte in sechs Länder Europas gereist […]. So richtig viel Lust scheinen einige der Ratsmitglieder allerdings nicht gehabt zu haben, so dass nur ein Durchschnittswert von 6,6 Sitzungen pro Person herauskam. Das hat die Arbeit natürlich nochmals erschwert, vieles musste jedes Mal neu diskutiert werden.
Es war die Politik, die die Suppe eingebrockt hat. Es ist endgültig an ihr, die Konsequenzen zu ziehen. Der ratlose "Rat" hat keine Daseinsberechtigung mehr. Die Rechtschreibreform muss endlich durch ein unabhängiges, mit Gegnern und Befürwortern zumindest paritätisch besetztes Gremium auf den Prüfstand gestellt werden. Das Ziel ist klar: eine neue internationale Rechtschreibkonferenz, die dem unerträglichen Wirrwarr ein Ende setzt.
Peter Schmachthagen, Hamburger Abendblatt online,
Nun gibt es in Deutschland jedoch keine Reform, die Lobbyisten, Schriftsteller, Vorstandsvorsitzende oder Erlanger Professoren nicht noch einmal zu reformieren trachteten. 2004 trat der bunt zusammengewürfelte Rat für deutsche Rechtschreibung auf die Bildfläche, den "Unrat" zu nennen ich mir nicht abgewöhnen kann, und machte das, was klar und einfach war, wieder kompliziert.
Die unterschiedlichen Meinungen zur Rechtschreibreform prallten aufeinander, und wenn Menschen zusammen sind, dann geht es nicht nur um die Sache, sondern auch um Befindlichkeiten. Da machen Professoren keine Ausnahme. Habe ich das freundlich genug ausgedrückt?
Die Orthografie bewegt sich in einem Spannungsfeld von Schriftsystem, Norm und Schreibgebrauch. Vor dem Hintergrund der Entwicklungen seit der Rechtschreibreform und der vom Rat erarbeiteten Neuregelung 2006 wurde ein Konzept für die Schreibbeobachtung entworfen, das die wichtigsten und frequentesten Lemmata des deutschen Wortschatzes analysiert – dabei vor allem die im Zuge der Reform veränderten sowie andere rechtschreibschwierige Wörter und Wendungen. In einer Kombination aus diachroner und synchroner Methodik wurden die verschiedenen empirisch ermittelten Schreibungen im Vergleich zu ihrer jeweiligen Kodifizierung dokumentiert. Die Auswertung der Ergebnisse erfolgte mit Orientierung an zwei wesentlichen Kategorien: der Akzeptanz der geltenden Norm und der Präferenzen der Schreibenden bei mehreren (meist zwei) normgerechten Varianten. […] Norm und Normierung werden dadurch zu einer dynamischen Orientierungshilfe, die sich an den Erfordernissen und Gewohnheiten einer Mehrheit der Sprach- und Schreibgemeinschaft misst: Orthografische Normen werden zwar in der deutschen Rechtschreibung mit Billigung der staatlichen Stellen für eine gewisse Zeit amtlich. Im Interesse der Lesenden und Schreibenden und speziell der Deutschlernenden sind sie nicht beliebig jederzeit und willkürlich veränderbar – dass dies für die Schreibgemeinschaft und ihre Akzeptanz neuer Entwicklungen nicht förderlich ist, haben die Unruhen um die Rechtschreibreform gezeigt. Sie bilden aber auch kein starres, jahrzehntelang gültiges System, sondern ein multiperspektivisch zu betrachtendes und beschreibbares Feld, dessen wissenschaftliche Erforschung in den verschiedensten Aspekten und Perspektiven deutliche Signale für sprachliche und speziell schriftsprachliche Veränderungen bietet.
Wie unsinnig die Existenz des Rates für Rechtschreibung geworden ist, zeigt dessen neueste, selbstgestellte Aufgabe: Der Rat will sich mit „gendergerechter“ Schreibung befassen, zum Beispiel – Achtung, liebe Leser! – mit der Frage der Zulässigkeit von Schreibungen wie Leser*innen, Leser_innen …
Seine Aktivitäten betreffen nur zu einem kleinen Teil das amtliche Regelwerk. Umfangreicher sind seine neueren Einlassungen zu sogenannten geschlechtergerechten Schreibungen, die gar nicht zu seinen Aufgaben gehören. Dass der Rat sich überhaupt damit befasst, beruht auf Selbstermächtigung, die rechtlich nicht gedeckt ist, die aber auf erhebliches öffentliches Interesse stößt.