Denn daß die Sprache dem Volk gehört, sollte ja nicht heißen, daß es sich um ein Eigentum aller handelt, über das die Verfügungsgewalt an staatliche Repräsentanzen abgetreten wurde. Gemeint war damit vielmehr die Abwehr eines staatlichen Verfügungs- und Regelungsanspruches. Daß auch die Eigentümer selber keine wirkliche Verfügungsmacht haben, ergibt sich aus der besonderen Natur dieses Gutes. Sprache geht dem Menschen, der sie spricht, immer schon voraus, und unzählige Generationen haben an der Ausdifferenzierung dieser Sprache gearbeitet. Das Volk, dem die Sprache gehört, kann also nicht allein durch die jeweils Lebenden repräsentiert sein; ihnen ist die Sprache nur anvertraut. Auch ein Volksentscheid könnte eine Rechtschreibreform nicht legitimieren, die […] die Substanz der Sprache auch nur geringfügig tangiert. Was aber ist es, das dem Volk in einem zeitübergreifenden Sinn gehört und von niemandem angetastet werden darf? Ist es nur der Wörterbestand mit seinen zwischen 150 000 und 200 000 Lexemen und die Grammatik mit ihren Strukturmustern? Oder gehört dazu auch die Verschriftungsform, wie sie sich in Jahrhunderten herausgebildet hat? Gewiß ist die Verschriftung mit der Sprache selber nicht identisch. Als Übertragung der Sprache aus dem Hörbaren ins Sichtbare ist die Schreibung von der Sprache aber auch nicht einfach ablösbar als ein ihr bloß Äußerliches, denn sie wirkt auf die Sprache zurück.